Blumen und Tomaten

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KURZ VOR 100

„Unterhaltungskunst“-Chefredakteurin for ever: Maja Lopattas Autobiografie „Das Leben ist ein Geschenk“ von 2022

 

Das Leben ist ein Geschenk, findet die fast 100jährige – und wenn man sie kennt, glaubt man ihr das absolut. Maja kann sich sehr gut ärgern. Aber eben auch richtig freuen – als den wichtigeren Teil des Lebens.

Das ihre hat sie jetzt aufgeschrieben, weil ihr Sohnes Chris es ihr, sagen wir mal... geraten hat, mit dem zusammen sie auch schon einmal Star eines Dokfilms über Fußballfans war. Denn das sind die beiden. Aber nicht nur.

Maja, ursprünglich gewissermaßen höhere Tochter, landete nach Krieg und Vertreibung aus Schlesien und trotz anderer Berufswünsche in der Redaktion der DDR-Zeitschrift „Unterhaltungskunst“ und war irgendwann Chefredakteurin. Da lernte ich sie vor langer Zeit kennen.

Als eigentlich „Klassisch-Studierte“ hatte sie offensichtlich ihren Platz beim Tingeltangel gefunden. Sie, öffentlich eher unbekannt, war die interne Mutter der U-Kunst, sie brachte irgendwie zusammen, was so zusammengehört wie Zirkuslöwe und Kabarett, Schlager und Pantomime. Also eigentlich gar nicht.

Sie vergleicht nicht Äpfel mit Birnen, wirft also der Show nicht vor, keine Satire zu sein usw., hat gewissermaßen die Autonomie jedes Genres verinnerlicht.

Varieté-Puppenspiel gabs damals durchaus auch, ich hatte ein bißchen was davon für eine historisch-politische Revue adaptiert und wurde also rezensiert, von einer Puppentheaterfrau. Später auch für anderes. So näherten wir uns an.

Und dann kam ich mit einem Pamphlet über die Situation der Kleinkunst an. Für ein Land, wo jede Detailkritik schnell als genereller Vaterlandsverrat gewertet wurde, recht haarig. Ich beschrieb im Grunde, wie gewisse Einschränkungen bei den Auftrittsbedingungen unsereinen annähernd mundtot zu machen drohten. Wenn man ein Programm nur ab und zu mal im Jugendklub spielen durfte, mit 35, und trotz inzwischen großem Publikumsinteresse, auch an Puppenspiel für Erwachsene. Im Grunde war es die Forderung nach Zulassung einer wirklichen Off-Szene – dabei war schon der Begriff latent konterrevolutionär.

UND? Maja druckte es – 2 Seiten lang!

Und wundert sich nun im Buch, wie schlecht die Stasi sie beurteilt hat. Ach Maja...

Andererseits spürte und spürt man auch in ihrem biografischen Werk keinen heimlichen Wunsch nach den Weihen wahrer Literatur oder Bühnenkunst. Sie schreibt bildhaft, lebendig, mit oft originellen, ja eleganten Wendungen, und sehr lesbar, ohne anbiederisch zu volkstümeln.

Daß sie sich kaum im Glanz von Promis sonnt, die sie massenhaft kennt, außer ein bißchen in den interessanten (eigenen!) Fotos, ehrt sie. Sie kriegt die über 200 Seiten auch so voll mit Geschichten aller Art von nervenden Vorgesetzten oder dem für sie inakzeptablen Lenindenkmal-Abriß, den, so weiß sie sicher, mancher ihrer Freunde anders sieht. Auf Seite 183 allerdings, mitten in Camping-Ferien- und Ski-Episoden, Blumenschicksalen und Töpferkurs, wartete ich etwas ungeduldig auf Showbissiges. Das kommt dann auch, wenn auch nicht überreichlich. Aber eben ohne Superstars.

Berührend ihre lange Suche nach Spuren der verstorbenen besten Freundin seit Kindertagen, Marianne.

Majas sonniges Gemüt ist jedoch durch nichts dauerhaft zu erschüttern:

Über dem freudlosen Ende im Fitneß-Center vergißt sie nicht die vielen inspirierenden Jahre dort. Denn die scheinen ihr dann doch immer das Wichtigere. Weil das Leben ja ein Geschenk ist.

Andere Rezension (von der anderen, der gewissermaßen ÖFFENTLICHEN Mutter der U-Kunst, Schriftstellerin Gisela Steineckert): https://www.jungewelt.de/artikel/436969.literatur-weiter-mit-vergn%C3%BCgen.html

 

(März 2024: Die Buch-Lesung) 

SHOW-BISS auf ostig

Die heimliche Mutter der DDR-Unterhaltung MAJA LOPATTA, 96 Jahre alt, war sehr lange Kopf der DDR-Zeitschrift “Unterhaltungskunst” - ja, Entertainment galt im Osten als Kunst statt business, wenn auch eher aus Englischvermeidung - wo sie nicht nur so Gegensätzliches wie Modern Jazz und Tigerdressur, Kabarett und Artistik problemlos zusammenbrachte, indem sie jedem Autonomie zugestand. Sondern sie bugsierte auch gewisse Artikel in das Blatt - an der Zensur vorbei. Wo z.B. Künstlers Arbeitsbedingungen kritisiert oder fast verbotene Bühnenprogramme gelobt wurden.

Mit 94 hat sie eine Autobiografie geschrieben, frisch, unprätentiös, unterhaltend. Sie, fotografiesüchtig und -fähig, zeigt im Buch nur mit einigen Bildern, welche Weltstars sie traf, ansonsten gehts um Nachbarschaft, gefühlte 100 Kurse und den Sohn als Kind, heute Schauspieler, der mit ihr zusammen aus dem Buch liest. So letzten Sonntag im vollen ZILLES STUBENTHEATER zu Köpenick.

Die beiden sind ein wunderbares Team; was bei anderen Pannen sind - Maja hat beim Ablesen mittlerweile Probleme - wird hier zu Höhepunkten, ohne daß damit kokettiert wird und wenn Chris Bälle zuwirft, hat Maja immer einen zurück parat.

Natürlich kann man nur einen Bruchteil des Buches podcasten, also hören lassen, und so blieb Majas journalistische Künstlerbetreuung angesichts der vielen Jahre und monatlichen Hefte etwas unterbelichtet. Heißt: Gerne mehr davon.

Sie aus Berlin bei Friedrichshagen in letzteres, Heimat vieler dieser Künstler, zu holen, gelang mir nicht, die hiesige Lese-Moderatorin biß nicht an. Vielleicht war Maja L. nicht widerständig oder Opfer genug?

Dafür liest hier demnächst einer, der es ganz bestimmt war: Egon Krenz.