Mein amerikanischer, des Deutschen kaum kundiger Begleiter verstand nicht, warum das einzig sprechende Mininiraumschiff dieses nur englisch tat – und ich fand, hätte es tibetisch, Sanskrit oder Gramoulotte geplaudert, hätte man die hübsche, leicht skurrile Story auch verstanden. Vielleicht sogar besser, denn wer kein Englisch kann, vermutet wohl immer mal, ihm entginge was Wichtiges, was es aber kaum tat.
Auch der anglistische Stücktitel weckte in mir eher die Erwartung von abgestandener Moderne und Szene-Performance-Kram.
Mit diesen abfälligen Bemerkungen aber habe ich – von leichten rhythmischen aber verkraftbaren Stück-Schwächen abgesehen – die Abteilung „Kritisches“ auch schon abgearbeitet. Denn insgesamt gebe ich der Aufführung aus vollem Herzen ein vorbehaltloses DAUMEN HOCH! Und Glückwunsch!
Und damit war ich im Schaubuden-Saal (mit seinem bekannten saalverkleinernden und sichtverhindernden Traversenaufbau) nicht allein. Es wurde gekichert und gelacht oder auch still und aufmerksam zugeguckt. Auch von einem achtjährigen Kind.
Die in der Ankündigung etwas unnötig ausführlich beschriebene Geschichte kann man so, aber auch etwas anders verstehen: Auf jeden Fall ist da der zu allen Zeiten denkbare kleine ( hier Reise-) Büroangestellte, der heimlich zu Hause ein winziges Raumschiff als einzigen Kommunikationspartner hat. Durch sein Umfeld entdeckt, schicken seine glatt-schmierigen Chefs ihn damit ins „Space“, wo er sich mit einem roten Monster, dem Space-Pizza-Boten, anfreundet...
Ich sah (und beschrieb) einmal von der Truppe mit dem ihr Konzept gut andeutenden Namen „Retrofuturisten“ ein ebenfalls englisch betiteltes Stück, als sie noch „Ernst Busch“-Puppenspielstudenten waren. In Erinnerung sind mir neben Ausstattungseinfällen, noch etwas beliebiger formaler Vielfalt, eher nicht überzeugendem Puppenspiel und etwas großkotziger, als Schauspiel gemeinter Selbstdarstellung eine insgesamt unsichere aber deutlich erkennbare Suche nach eigenem Ausdruck
Roscha A. Säidow hat diesmal eine weitgehend ausbalancierte Story von angemessen gezügelter Phantasie entwickelt, in der die handelnden menschlichen Figuren ohne Sprache auskommen. Die Kunst, dabei nicht in als „Avantgarde“ getarnte Unverständlichkeit zu entgleiten, scheint mir hier schon im hohen Maße entwickelt. Und in der szenischen Umsetzung mit originellen, aber sich kaum verselbständigenden, sondern immer das Gesamtgefüge untermauernden Einfällen sehe ich mittlerweile eine entwickelte Regiehandschrift, die vor Ähnlichkeiten mit anderen keine originalitätssüchtige Scheu hat. So erinnert das Ganze durchaus an Vorbilder wie Familie Flöz, ohne daß einfach imitiert wird.
Zu den qualitätsprägenden Entscheidungen gehört auch, daß Geräusche und gelegentlich Musik aus den Lautsprechern kommt, aber von einer „Schmidti“ genannten quasi unsichtbaren Mitspielerin wach und live erzeugt wird und immer präzise auf den Aktionen liegt.
Die auch mitspielenden Franziska Dittrich und Magdalena Roth haben großartige Vollmasken erstellt, die das Konzept untermauern: Wie konventionelle Karikaturen, gewissermaßen Loriot ohne Knollennasen geformt und in verschiedenen Grautönen gehalten, wird damit zusammen mit dem weiß-grauen Bühnenbild (Julia Plickat) aus praktikablen Leichtbauwänden und prägnanten kleinen Einfällen eine Welt von sozusagen gestriger Zukunft geschaffen, eben Retrofuturismus.
Die gewissermaßen Pantomime wird von allen drei Akteuren in angemessener Qualität geliefert. Ja, in den vielen, oft wechselnden Rollen waren neben der Hauptfigur nur die zwei Damen Dittrich und Roth tätig – die vorstellbare Hektik beim aufwändigen Kostümwechsel übertrug sich nicht im Mindesten aufs Bühnengeschehen, so daß wir am Ende sehr erstaunt waren, daß sich nicht fünf, sondern nur drei Akteure verbeugten.
Gut war für dieses Stück, sich konsequent auf Maskenspiel zu beschränken, das ja aus der Puppenspiel-Perspektive ein Übergang zum Schauspiel darstellt.
Und ohne die großen Qualitäten dieses Abends infrage zu stellen: Von der Truppe stehen hier nur noch zwei auf der Bühne, und von der etwas grob-unpräzisen (Selbst-)Darstellung in meiner Erinnerung ist hier nichts mehr zu sehen. Die Hauptfigur bewältigt subtil-grandios Kai Wido Meyer - mit Körper und Maske, die starr ist, sich aber immer wieder zu verändern scheint. 70 Minuten unter der Papphülle, der man nicht mal ansieht, wo die Gucklöcher sind, sind wohl schon allein eine außerordentliche physische Leistung, die man aber vergißt. Einprägsame Details in nicht nachlassender Spielintensität schaffen es, einen eher farblosen Charakter niemals langweilig erscheinen zu lassen. Wenn er die Brille abnimmt und ein vor die Augen gehaltenes Papier liest, sieht man förmlich, wie er die in Wahrheit starren Lider zusammenkneift. Und wenn er, im All angekommen – herrlich abstrus ist es nur ein kleines Podest vor schwarzen Wänden – die Zeit im „Nichts“ überbrückt und beginnt, dieses Nichts sauberzumachen, mit winzigen hervorgekramten Requisiten, dann sind das sicher Pantomime-Standards, aber eben klug eingesetzt und einen Charakter formend.
Man hat bei ihm nie den Eindruck, unter der Maske spielt er mit Kopf und Gesicht, sondern, indem er die Maske wie einen Puppenkopf spielt, wird die ganze menschliche Gestalt zur Puppe. Kai Wido Meyer ist Schauspieler, der manchmal bei den Retrofuturisten mitspielt und hilft, die Qualitätslatte deutlich hoch anzusetzen.
Ist hier mal wieder eine potente, schönste Puppenspiel-Hoffnungen weckende Truppe auf dem Weg in ein anderes Genre?
Jedenfalls wirft dieser großartige Abend in Berlins zentralem Puppentheater in zweiter Linie auch erneut ein wenig die Frage auf, welche Darsteller die geeignetsten sind, wenn das Puppentheater mit seinen vielen ureigenen Möglichkeiten seine Formensprache wie seit mindestens 30 Jahren zu erweitern sucht.
Nochmal am 8. und 9. November!!!
Regie, Libretto: Roscha A. Säidow
Spiel: Franziska Dittrich, Magdalena Roth, Kai Wido Meyer
Szenografie, Kostüme: Jelena Miletic
Musik: Schmidti
Puppenbau (richtiger Maskenbau): Magdalena Roth, Franziska Dittrich
Bühne: Julia Plickat
Dauer: ca. 70 Minuten