THE BIG HALLE-PUPPET-REPORT
Teil 2
Amadeus
von Peter Shaffer
Regie Moritz Sostmann
Von den Abendstücken (die ich seit dem vorletzten Märzwochenende gesehen habe) bisher das Beste. Die Stückauswahl ist zweifelhaft – das im Grunde Boulevardwerk zieht seine Wirkung aus der völligen Verdrehung der historischen Realitäten und dichtet Mozart und Salieri eine für Mozart tödliche Intrigen-Beziehung an. In der Halle-Fassung ist das abgemildert - Salieri ist hier auch der Ersatz-Papa - aber nicht gänzlich aufzuheben.
Die drei offenen Spieler spielen grandios, die komödiantischen Persönlichkeiten strahlen auf ihre Figuren ab, bleiben selber präsent, aber lassen den Puppen den Vortritt, bis auf wenige, kalkulierte Momente.
Einleuchtend die Idee, alles auf dem Flügel spielen zu lassen, der auch die musikalischen Akzente setzt. Die drei singen höchst passend, nicht klassisch – Papagenospieler und “Zauberflöten”-Librettist Schikaneder war ja Schauspieler, kein Sänger. Im Flügel verschwindet auch der sterbende Mozart.
Das Wichtigste bleiben die nuanciert wie akzentuiert animierten Puppen. Dem entsprach die verbale Gestaltung. Ich habe mit einigem Suchen die Besetzung herausgefunden, jedenfalls von Phillipp Pleßmann als Mozart, der durchaus etwas ähnliches spielt wie der im Film – aber trotzdem ganz anders ist. Erstaunlich. Dem im besten Sinne gereiften Lars Frank als Salieri steht Nils Dreschke als Konstanze Mozart und Fürst – hier als Akteur – nicht nach.
Im Trailer einer früheren Sostmann-Inszenierung am Magdeburger Puppentheater erschien mir seine plötzliche Regiekarriere noch als fragwürdig: Zumeist schauspielende Puppenspieler – in einem Tierstück – und nur zwei Klappmaulpuppen, von denen ihre Spieler ablenkten. Also ein bißchen typisch Puppentheater Magdeburg. In “Amadeus” sieht das ganz anders aus, als hätte er den Hallenser Stil erfaßt und realisiert ihn auf hohem Niveau. Das ist etwas anderes als nur Kopie eines Erfolgsrezeptes.
Ausflug mit Tante
Für Kinder ab 7 Jahre und Erwachsene
Regie: Ralf Meyer, Christoph Werner
Erstaunt nimmt man wahr, daß hier geht, was woanders schon als existenzbedrohliches Risiko auszusterben droht: Puppentheater ab 7 Jahren.
Vielleicht eine Spur zu sehr aus Erwachsenenperspektive erzählt (aber aus dem Kinderpublikum der Aufzeichnung von 2004 kam auch kein Lautzeichen von Desinteresse), ist das kleine Stück trotz Video-Nutzung auf jeden Fall fern der Ambition, für Kinder unbedingt “innovativ” sein zu müssen. Hier wird also normaler Kinderalltag erzählt, zumindest, wenn er mal ein bißchen aus den Fugen gerät, weil die kinderungewohnte Tante den Nachwuchs übernimmt.
Die 10 cm großen Püppchen am Draht erinnern an Puppenhaus-Figuren, tragen erstaunlich viel, können auch nicht alles, das macht dann die Spielerhand, aber dafür können in dieser Verkleinerung auch Auto, Feuerwehr und Landschaft auftreten. Alles wird Video-aufgenommen und auf die Leinwand hinten projeziert. Videotheater? Vielleicht. Das überschwemmte in den 90ern teils die Puppenspielfestivals, so ging Objekttheater auch in größeren Räumen. Meistens guckt man auf die Projektion, das vergrößerte Spiel der Puppen. Öfter auch auf die Puppenspielerinnen (Namen wie immer von der hochgeschätzten Puppentheaterdirektion geheimgehalten) aber das war geplant, nicht die übliche unabsichtliche Ablenkerei durch Spielergesichter.
Ja, doch, hat mir gefallen.
FAUST
Puppentheater und Neues Theater Halle
Regie Christoph Werner
Puppen, Bühne, Kostüme: Geheim
Angekündigt als: “„Faust“, wie man ihn noch nicht gesehen hatte.” Exakt genau so hat man ihn sicher noch nicht gesehen, Akteure in heutigen Klamotten auf leerer Bühne gabs allerdings schon vorher. Mit den Puppen wurde bis zur Pause recht sparsam umgegangen, die beiden Hauptfiguren sind Schauspieler. Beachtliche! Auch wenn Jörg Lichtensteins Faust nun kein verzweifelnder alter Renaissance-Gelehrter mehr ist, sondern ein jüngerer, zeitweise wütender Allerwelts-Mann von heute im heutigen Streifenhemd.
Die wichtigsten neuen Akzente kommen natürlich von den Puppen, deren junge Spieler mit schwarz verdecktem Gesicht gegen die starke Präsenz von Lichtenstein-Faust und Hilmar Eichhorns komödiantischem Mephisto angehen. Aber man spürt auch die Gemeinsamkeit der verschiedenen “Ethnien”, also Genres.
Der konzeptionelle Ansatz animiert die Phantasie: Faust als Schauspieler UND als Puppe? Sind das die beiden Seelen, ach, in seiner Brust?
Es gibt starke Momente zwischen Puppen und Schauspielern. Skurril der Flirt der hüftgroßen Frau Marthe mit Mephisto – sie darf ihn auch mal mit dem Fuß unsittlich am Geschlecht berühren, ohne daß es peinlich wird.
Für mich wurde es besonders durch die Nebenfigur von Gretchens Bruder Valentin interessant und durchaus neu im Umgang mit dem Text: Er, bei Goethe Soldat, steckt hier in einer grauen Phantasie-Uniform, die ihn evtl. als Teil einer militanten Gruppe zeigt, wo auf Sitte geachtet wird. Und die hat seine Schwester nun schwer verletzt. Ehrenmord liegt in der Luft. Der wird dann von ihr am Kind vollführt – der Szenenkomplex Kindstötung “fehlt” bei Goethe, spätestens hier ist das Nationalheiligtum “Faust” so gar nicht klassisch – und so das Anachronistische des Kindesmordes aufgehoben. Vielleicht noch eine Spur zu undeutlich, aber ein interessanter Ansatz, wo die Heutigkeit der Inszenierung Sinn bekommt.
Valentin beginnt dann – statt des Degengefechts bei Goethe – ein Handgemenge mit Gretchenverführer Faust. Den Kampf als Slow-Motion beider Puppen beendet Faust-Schauspieler unfair, indem er abrupt eingreift und der Valentin-Puppe den Kopf mit einem Ruck umdreht. Eigentlich müßte es, Goethe folgend, Mephisto tun. Aber das Böse bestimmt auch schon Fausts Handeln. Die nunmehrige szenische Lösung ging wirklich nur mit der Faust-Doppelung von Mensch und Puppe. Es war sehr überraschend und natürlich wartete ich auf ein wenig mehr davon.
Insgesamt sah ich ein oft ausbalanciertes Mensch-Puppe-Prinzip.