Duda Paivas neues Stück "Joe 5" beim (gestreamten) Festival "Theater der Dinge" in der Berliner Schaubude
Vor einigen Jahren verpaßte ich Duda Paivas Vorstellung in Potsdam. In der Weltstadt (nicht unbedingt des Puppenspiels) Berlin sah man die international nicht ganz unbekannte Formation nun zum ersten Mal. Nunja, besser spät als nie. Hier, wo man manchmal denken könnte, trotz der hier seit 50 Jahren angesiedelten entsprechenden Ausbildung steht das Puppenspiel-Genre auf dem Spiel. in dieser Aufführung aber stand " auf dem Spiel die Menschlichkeit in dieser post-apokalyptischen Welt: Anstatt auf herkömmlichem Wege geboren zu werden, designt ein außerirdisches System seine perfekten Menschen: ewig jung, unendlich modifizierbar. Aber was sollen wir mit Perfektion und Unsterblichkeit, wenn alles fehlt, was uns zu Menschen macht? Duda Paiva spielt in diesem neuen Solo zwischen Puppentheater und Tanz mit Ideen des Cyberpunk und den futuristischen Visionen aus Michel Houllebecqs »Die Möglichkeit einer Insel«". Soweit die Beschreibung des ca. 60minütigen Stückes durch die Companie.
Wie meistens bei Duda Pavia stehen im Zentrum große Puppen, meist aus Schaumgummi geschnitten, die zu einem wesentlichen Teil aus dem Unterleib o.a. des Akteurs bestehen, hier der großartig spielende, Figuren animierende, gelegentlich auch tanzende Tänzer Josse Vessies. Würde man unter deutschen Puppenspielern ein ähnliches Multitalent finden? Hmm...
Zu Anfang sieht man ein Duda-Paiva-typisches Alien, halb steckt der Akteur drin, seine Beine sind sowohl seine eigenen als auch die des Monsters, sie sind eins aber - oben - auch zwei und beide ringen miteinander.
Später wird eine etwas kindliche große Figur von oben herabgelassen, komplett flitterbedeckt, ein neuer Mensch. Der Akteur animiert sie und spricht mit ihr. Ihre Stimme kommt aus der Konserve und hier kommen Klappmaulpuppe und Stimme nicht so ganz zusammen.
Autor und Regisseur, hier mal nicht selbst tanzend/puppenspielend, Duda Paiva, der Brasilianer, lebt in den Niederlanden - wie der im Spiel etwas ähnliche Nevil Tranter, der erstaunlich variabel immer neue Themen bewältigt - und dabei immer bei seinen großen Klappmaulpuppen bleibt. Nicht viel anders spielt auch der Nevil-Tranter-Schüler Nikolaus Habjan, Österreich. Alle drei sind höchst erfolgreich, weder sie selbst, noch gewisse Meinungsmacher oder gar die Öffentlichkeit haben ein Problem mit ihrer Ähnlichkeit. Und sie sind in zwei Ländern ansässig, wo es keine staatlichen Puppentheater und keine Puppenspielschulen gibt. Da kommt man auf sehr provokante Gedanken.
Innovativ sind die drei gewissermaßen im Detail, suchen danach, wie man ihre Form, die Klappmaulpuppe, den jeweiligen Stückanforderungen anpassen kann. Im deutschen "Innovations"-Puppenspiel wird zwar die traditionelle deutsche Marionette abgelehnt, um dann quasi doch wieder hauptsächlich sie zu benutzen - mit abgeschnittenen Fäden, als Tischpuppe.
Bevor es zum Schluß von "Joe 5" einen Kampf mit einem Kraken gibt, taucht eine Art gleich großer Puppenzwilling auf, der durch eine Öffnung animiert wird, die sich anstelle des linken Arms befindet und wo der Akteur seinen Arm gänzlich hineinsteckt - sie sind nun quasi an der Schulter zusammengewachsen. Josse Vessies spricht auch beide und hier funktioniert das bestens. Er selbst agiert jetzt eher zurückgenommen und obwohl der realistisch gestaltete Zwilling dagegen eher muppethaft geführt wird, wirkt das stilistisch ungleiche Duo zusammengehörig und glaubhaft lebendig.
Natürlich ist das Ganze faktisch eine Nummernfolge, wo nach Möglichkeiten für die Spezifik des Duda-Paiva-Prinzips gesucht wurde. Vielleicht ist die Botschaft des Ganzen auch etwas schlicht. Beeindruckend ist es auf jeden Fall, weil die Teilung des Akteurs in zwei Wesen jeweils neu hergestellt wird, dann vergeht, um gleich wieder da zu sein. Hier wird das Basisprinzip des Puppentheaters - die Belebung des Materials - immer wieder neu in Gang gesetzt. Während dieses Prinzip im "Theater der Dinge" seit fast 40 Jahren meist reduziert oder ganz eliminiert wird.
Nun wurde das Puppen-Stück "Joe 5" allerdings verfilmt und coronabedingt statt der Live-Vorstellung gezeigt. Und der Film als letztlich illusionistisches Medium drohte die beschriebene Wirkung latent aufzuheben. Ein paar zusätzliche Effekte schoben ihn in Richtung "Alien"-Film und da begann die immer offen gezeigte Herstellung der Illusion ein wenig zu stören. Aber eben nur ein wenig.
Trotzdem: Daß in der Schaubude mit ihrem mittlerweile quasi ganzjährigen Festival des "Theaters der Dinge" mal wieder vorbehaltlos Puppen agierten, war sehr erfreulich.
Peter Waschinsky