(Juli 2023)
„Puppen, Menschen & Objekte“ ist eine Theaterzeitschrift des VdP, des Verbandes der deutschen Puppenspieler und daher eher deren Selbstdarstellung. Wenn darin nun zwei tradierte institutionelle Größen des Marionettenspiels vorgestellt werden, vermisse ich dennoch etwas kritische Distanz. Sowohl die Augsburger Puppenkiste wie das Düsseldorfer Marionettentheater praktizieren eine Spielweise, als gäbe es neuere Tendenzen nicht. Nein, ich will keine Regietheater-Verfremdung bis zur Unerkennbarkeit des dargestellten Stoffes. Die Puppengestaltung im Augsburger „Ring des Nibelungen“ mit ihren satirischen Elementen im ansonsten tradierten Aussehen finde ich durchaus zeitgemäß. Andere Bühnenbilder und Puppen allerdings weniger. Was mir bei beiden am meisten gestrig erscheint, ist das eigentliche Marionettenspiel, das ich nicht mehr als „charmantes Gezappel“ hinnehmen kann. Marionetten, die nicht laufen können und wenige Standardgesten unter die Profisprecher aus der Konserve legen, das ist einfach hilflos. Was durch einen großen professionellen Apparat - 17 Puppenspieler in Augsburg - also Perfektion im Drumherum, Dilettantismus im Zentrum, eher noch betont wird. Düsseldorf inserierte kürzlich nach ausgewiesenen Handwerker-Profis, Schreiner, Beleuchter mit Abschluß, die dann „nebenbei“ auch die Marionetten führen sollen. So siehts dann auch aus. Kann doch jeder, denkt der Zuschauer. Augsburg bildet seine Puppenspieler selber aus. D.h. das Zappelprinzip wird weitergegeben. Im Jahre 2023 hat das leider etwas von Diffamierung unseres Berufsstandes - gerade durch eine so namhafte Institution.
Wenn kürzlich der Berliner TAGESSPIEGEL die andere Richtung, den neuzeitlichen Dilettantismus als dauerinnovativ feiert, der Traditionelles nicht nötig hat, wirds indirekt politisch: Das Getue um angeblich kreative DIVERSITÄT, da ist dann gleich Antidiskriminierung - natürlich nur der vorgeschriebenen Minderheiten - und Genderei in der Nähe, verdeckt eine Realität, die seit 25 Jahren an der SCHAUBUDE vor lauter Objekt-Schauspiel (ja, Schauspiel mit Requisiten), Performance, Installation und obskuren Forschungsprojekten eine tatsächliche Weiterentwicklung des eigentlichen Puppenspiels ebenso weitgehend ausgrenzt wie das Ensemblespiel. Diese Primitivreduzierung - hier ist man plötzlich traditionell, weil Puppenspiel war doch immer schon was mit nur 1 oder 2 Spielern - hinter kraß neuzeitlicher Fassade, wo „internationale Kunst“ aus Hintertupfing und Vorderindien lange nahezu ausschließlich gegen Berliner Puppenspiel instrumentalisiert wurde, unter Ignoranz z.B. des Puppenspielensembles in Halle, (das unbedingt mal in Berlin gezeigt werden müßte - maßstabsetzend) bevor inzwischen wieder jüngere hiesige Puppenspieler ran dürfen, die brav sind und bestimmte Dinge bereitwillig übersehen, all das erinnert an Entsprechendes in der „großen“ Politik. Wo die AfD gerade die SPD überholt hat. Warum wohl?
Der (Pseudo?-) Linke Kultursenator Lederer, der die äst-ethnischen Säuberungen der Nachwendezeit - mit Eliminierung des einzigen Pantomime-Ensembles in Westeuropa und finanziellem Ausbluten des Puppenspiels - hätte korrigieren können, setzte eher noch eins drauf und machte 2018 aus dem zweitgrößten Berliner Puppen- ein weiteres Tanztheater. Im Puppentheater „Hans Wurst Nachfahren“ stand Erneuerung an, hier hätte sich ein Gegenstück zur hochgeschraubt „dauerinnovativen“ Schaubude etablieren können. Wollte Lederer genau das verhindern? Der Kulturausschuß des Berliner Parlaments machte mit. Teils gar nicht, teils detailreich Pseudo-argumentierend, wo der eigentliche Skandal verdeckt wurde. Ja, man kann „Rotkäppchen“ so in Nebensächlichkeiten erzählen, daß unklar wird, wer wen gefressen, wer also Schuld hat.
Tim Sandweg, quasi ohne entsprechende Erfahrung oder gar Meriten durch „Vernetzung“ 2014 zum künstlerischen Leiter der Schaubude geworden, erscheint mir wie ein ahnungloses Kind, das mit einem etwas komplizierteren Apparat herumspielt und immer mehr kaputtmacht.
Vielleicht das krasseste Beispiel: 2019 cancelte er die drei unterschiedlichen Abende über Willy Blum aus vorgeblich antirassistischen Gründen. In Wahrheit wohl, weil ich an zweien der Abende bteiligt war und: Zuviel Puppenspiel im Zentralen Puppentheater - Willy Blum war Puppenspielersohn, da war es egal, daß er - die Gegengeschichte zu „Nackt unter Wölfen“ - als Sinto in Auschwitz ermordet wurde. Und mit dieser Cancelei wieder einmal der Holocaust an den Sinti / Roma / Zigani verdrängt wurde. Wir haben ja den großen an den Juden, das muß reichen. (Auch von der Gruppe, die in der Schaubude gleichzeitig „Anne Frank“ spielte, also abgesegnte Holocaust-Klassik, kam keine Protest- oder Solidaritäts-Reaktion).
Kürzlich hat Tim Sandweg einen erneuten Beweis seiner Untragbarkeit geliefert: Nachdem ich nur sachlich beschrieben hatte, wie die UNESCO 2021 den „Kasper als Spielprinzip“ zum immateriellen Kulturerbe erklärt, wie ich zum entspr. internationalen Symposium als Berliner Beitrag mein „KASPARETT - DEUTSCHLAND EIN KASPERMÄRCHEN“ mit großem Erfolg gespielt hatte, dieses Stück Puppentheatergeschichte von 1979, jetzt aktualisiert, aber an der SCHAUBUDE unbegründet nicht spielen durfte, wurde ich aufs allerübelste bei allen deren Mitarbeitern verleumdet. Eine quasi „Haß-Mail“ an alle - Autorin sei eine MItarbeiterin, die mich faktisch nicht kennt - nennt mich „immer unsachlich und unverschämt“, vor allem aber quasi asozial, d.h. wegen „unmöglichen“ Benehmens ohne jegliche soziale Kontakte. In Wahrheit war ich, abgesehen vom o.g. Symposium usw., gerade zum wichtigsten sächsischen Puppenspielfestival mit KASPARETT geladen und betreibe als Rentner ein kleines Gartentheater, wo Künstler gerne spielen, trotz nur Symbolgagen aus Spenden. Und ich habe ganz normal kritische Theaterkritiken geschrieben - nirgendwo „unsachlich“ oder gar „unverschämt“ meinen Geschmack als einzig gültig diktierend, wie in der Mail behauptet.
Letzte Rezensionen von mir zu Aufführungen in der SCHAUBUDE.
Davor: https://generalanzeiger-waschinsky.de/index.php/blumen-und-tomaten/485-irgendwo-ein-licht
Eine Berliner Abgeordente, neues Kulturausschußmitglied, ehemals Theaterfrau, wiegelt ab. Wieder einmal reduziert sich alle Aktivität der Politik aufs Argumenteerfinden, warum sie NICHTS TUN MUSS. Ist eben nur Kasperletheater, da schadet ein Mann wie Sandweg nicht weiter (der ein Machwerk über neuzeitliche Puppenspiel-Tendenzen mitverantwortete, darin einzig als älterer Puppenspieler „zugelassen“ der Italo-Ungar Gyula Molnar und als einziger Kasperspieler der Israeli Andre Doron)
Wie wird der neue Kultur-Senator, als Afrodeutscher sicher nicht ohne Diskriminierungs-Erfahrungen, reagieren?
Hatte der offen schwule Klaus Lederer zu selbstverständlich heutige Liberalität erlebt, die andere Schwule vor ihm erkämpft hatten, um sich in die problematische Situation anderer Minderheiten zu versetzen? Als selbst seit über 50 Jahren offen schwul lebend, darf ich das vielleicht fragen.
Und vergleichend konstatieren: Als Schwuler fühle ich mich nur selten diskriminiert, als Puppenspieler permanent!
Dazu etwas Satire: „Darf man Puppenspieler anzünden?“ (2016)
Letzter Juli-Eintrag:
Regisseur Ostermeier wollte die letzten Gewaltausbrüche in Frankreich in seiner neuen DREIGROSCHENOPER (arte-Mediathek) reflektieren - beim Edel-Opernfestival Aix en Provence und mit dem Ensemble der Comedie Francais. Ich habe von diesen Intentionen wenig umgesetzt gesehen, nur die übliche Versetzung des Geschehens in die Gegenwart mittels heutiger Kostüme, was das Ganze ebenso üblich eher unscharf macht. Pollys an sich großartiger Gesang und ein Afro als Macky Messer haben beides kaum Effekt für Figurenprofile wie Stück-Message. Die Kritiken hangeln sich an Bewertung größtenteils demütig vorbei, nur BR Klassik wird deutlich: "Musikalisch ist es spannend, man singt auf Französisch, Dirigent Maxime Pascal bietet mit seinem Ensemble Le Balcon sehr schräge, aber auch süffige Töne. Thomas Ostermeier, seit Urzeiten Intendant der Berliner Schaubühne, hangelt sich indes zweieinhalb Stunden lang mit Kalauern und banalem Videodekor am Stück entlang und am Ende - nach sehr schütterem Applaus - wird das Publikum aufgefordert, einen antifaschistischen Choral mitzusingen. Wer raus möchte, dem werden die Türen verstellt. "
Diese schrecklich gut gemeinte, angeklebte Zusatzstrophe, etwa "Schuld an allem sind die Faschisten" - um die es im Stück ja überhaupt nicht geht - setzt einen allerletzten gedanklichen Tiefpunkt.