THE BIG HALLE PUPPET REPORT - last part (4)
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HÄNSEL UND GRETEL
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Regie Lars Frank, Puppen Udo Schneeweiß
In diesem Märchen warten natürlich alle auf Pfefferkuchenhaus und Hexe. Bis es dazu kommt, muß man in Halle lange warten. Das Video von 2003, dem Inszenierungsjahr, ist technisch von entsprechend eingeschränkter Qualität. Zum Ansehen für Kinder nur bedingt zu empfehlen, auch weil eben am Anfang erst einmal eher behäbig gezeigt wird, wie Vater und Mutter, von Skrupeln geplagt, das Kinder-Aussetzen planen und beginnen.
Es ist für mich das erste Puppenspiel aus Halle ohne sichtbare Spieler. Dafür gibt es als Erzählerin über der Bühne die in Halle sicher vom MDR bekannte Conny Wolter, die auch für fast alle Figuren spricht. In der schwarzen Proszeniumswand sind drei kleine Bühnenöffnungen für die wechselnden Spielorte.
Die prägnanten Marionetten von Udo Schneeweiß zeigen ganz offen ihr Holz und ebenso die Gelenke. Sie funktionieren nicht völlig perfekt und die Puppenspieler wirken mit Marionetten nicht allzu geübt.
In anderen Stücken des Hauses schienen Marionetten naheliegend, wenn ich die Tischpuppen latent als „abgeschnittene Marionetten“ empfand. Hier hängen sie nun wirklich an Fäden, aber das Ergebnis ist nicht gänzlich optimal. Vielleicht die damals schon vorliegenden Erfahrungen mit dieser Technik, auch mit der speziellen Inszenierungs-Logistik, nicht genug beachtet? Trotzdem bedauerlich, daß es offensichtlich nicht weiterging und bei den Tischpuppen blieb.
Die Hexe ist neben den Marionetten dann menschengroß, ein Monster – und spricht selbst bzw. durch Nils Dreschke. Das ist natürlich überraschend, aber für mich auch etwas enttäuschend, daß es nicht durchgängig bei Marionetten bleibt. Wenn das Monster umständlich in den Ofen kriechen muß, wirkt das inszenatorisch unbewältigt. Schade auch, daß nach Hexentod im Ofen die Geschichte der problematischen Familie nicht zu Ende erzählt wird: Die Kinder sitzen zu Hause um den Vater – dann ist Schluß
„Ein kleines Meisterstück!“ Mitteldeutsche Zeitung
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MEINE KÄLTEKAMMER
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von Joël Pommerat Regie: Christoph Werner
(2011)
Puppen Hagen Tilp, Musik Sebastian Herzfeld
Alle Akteure gibt es hier noch einmal als verblüffende Puppenportraits in extremer Ähnlichkeit von Hagen Tilp. Das ist nicht unbedingt neu – aber faszinierend. Sie stellen die Belegschaft eines Schlachtbetriebs dar, sowie des Unternehmers. Nur eine der Frauen, Estelle, ist durchgängig ein Mensch.
Die gänzlich schwarz verhüllten Puppenspieler verschwinden auf schwarzer, fast dekofreier Bühne, nur ihre nackten Hände an den Puppenhänden brechen die perfekte Illusion lebender Puppen. Und daß die Puppenmünder beim Sprechen geschlossen bleiben, wie bei näherer Kamera zu sehen ist.
Der Chef, Block, kritisiert alle und alles und steht im Ruf, mit seinen Mitarbeiterinnen Sex zu haben oder es zu wollen.
Als dem Chef per Handy lakonisch sein nahes Ende mitgeteilt wird, beschließt er, seine Unternehmen – außer diesem hier noch andere wie ein Zementwerk und ein Luxusbad – der Belegschaft zu überschreiben.
Alle Spieler sprechen gut und meist schnell, die Puppenanimation ist hervorragend. Aber ich frage mich nach dem Sinn dieses weitgehend verkleinerten Schauspiels. Auch, als die Belegschafter als menschliche Akteure weiteragieren, wenn alle den Vertrag mit dem Chef unterschreiben und anschließend untereinander debattieren. Sie sind jetzt ratlos angesichts mangels ihrer unternehmerischen Unerfahrenheit.
Ich fahnde im Netz nach dem Autor. Viel finde ich nicht, aber die FAZ schreibt etwas über ihn anläßlich seines neuen Stückes, das in Paris wochenlang ausverkauft ist: „...Joël Pommerat, dem französischen Theatermagier, der es wie kein anderer versteht, gesellschaftlich-politische Themen auf der Bühne zu pulsierendem Leben zu erwecken. Der Mythen und Märchen in die Alltagswelt versetzt, um unter der Patina ihre Sprengkraft freizusetzen. Der wie Ariane Mnouchkine zu ihrer Bestzeit (aber mit anderen Mitteln) Stoffe, die zugleich zeitlos und aktuell sind, in frappierend profilierte Formen zwingt.“
Vor einigen Jahren kam aus Frankreich die frohe Kunde, profilierte Autoren würden fürs Puppentheater schreiben. Und dann sah ich davon was im Ausschnitt. Inhalt vergessen, aber nicht die sichtbaren Puppenspieler, die den Text sprachen und dazu beliebig mit den Puppen wackelten, während man wie immer mehr auf die Spieler guckte.
So ist es hier in Halle auf keinen Fall.
Ich bin hin und hergerissen. Die Perfektion allein trägt es für mich nicht allzulange, auch das Sozialdrama nicht. Und so warte ich, wie die gewählte Ästhetik in den zu erwartenden Überraschungen des Textes aufgeht. Das tut sie aber nicht wirklich. Es sind die unerwarteten Wendungen des Stückes, wegen denen ich weiter gucke. Aber sicher geht von den Puppen dauerhaft eine gewisse Magie aus.
Es erinnert mich sehr an „Die Bauern“ von Heiner Müller am Puppentheater Neubrandenburg 27 Jahre früher. Auch hier wurden ziemlich naturalistische Tischpuppen von allerdings sichtbaren Puppenspielern animiert. Jetzt in Halle werden die Köpfe mit leichten Bewegungen immer lebendig gehalten, es wirkt wirklich, als sprächen die Puppen.
Es zeigt sich, man muß etwas sehr lange tun, um eine Perfektion zu erreichen, die eigentlich gar nicht zu bemerken ist. Ob der Zuschauer das mitmacht, genauer, wie lange, ist vielleicht individuell sehr verschieden.
Unbedingt hinzuweisen ist auch auf die Musik von Sebastian Herzfeld.
Im Stück gab es inzwischen einige Probleme in der Firma. Man ist u.a. gezwungen, ein ungeliebtes Theaterprojekt für den sterbenden Chef fortzuführen, ursprünglich Estelles Idee, und nun überfällt ihr Bruder mit Pistole die Besitzer/Belegschaft und zwingt sie, das Theaterprojekt fortzusetzen. Die Handlung schlägt immer mal Kobolz und obwohl die Belegschaft meist nur dasitzt und debattiert, bleibt es spannend.
Die bis zum Schluß unerklärte Doppelung mit Puppen gibt dem Ganzen eine surreale Note – und das Publimum schaut gebannt und klatscht dann lange und intensiv.
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MAX UND DAS MONSTER
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Stück & Regie Christian Weise
(2012)
Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare in der Übersetzung von Hermann Motschach
Regie: Christoph Werner
Intrigenführer durch das (ost) deutsche Puppenspiel"
(2021) Nachdem ich Anfang der 80er, gemobbt, wegging von Neubrandenburg und ca. 13 Jahre kein Regieangebot von einem Puppentheater bekommen hatte – nur von zwei großen Opernhäusern und der DEFA –, inszenierte ich erstmals wieder. Am dahindümpelnden Puppentheater Halle. Und zwar ein Stück, zu DDR-Zeiten geradezu Kult, dessen zweiter Teil früher eher als der schwächere empfunden wurde. Aber nur den setzte ich um.
Zweifellos die gültige Umsetzung einer komplizierten dramatischen Struktur gelungen Mitteldeutsche Zeitung
Beklemmend hochaktuell... das engagierte genaue Spiel des gesamten Ensembles lotet den geistigen Gehalt der Fabel assoziationsreich aus. Aufstieg und Niedergang der Diktaturen der jüngsten Geschichte und deren schmerzliche Folgen... Zeitpunkt
Der zweite Teil des Stückes ist weniger märchenhaft, spiegelt jedoch besonders klar die (ost)deutsche Gegenwart: Was von der Diktatur bleibt. … klettern die befreiten Bürger über einen der abgehauenen Drachenköpfe (!) in die neue Welt... viele Ideen, mit denen Waschinsky das Bild schärft. „Spürhundseelen, taubstumme, käufliche Seelen“ können sich hier nirgend mehr verstecken... Hallesches Tageblatt
Trotz des Erfolges nahm ich das Angebot zum künstlerischen Leiter nicht an; Haus und Ensemble waren in bedenklichem Zustand. Viele Alternativen gab es nicht und so kam Christoph Werner, der erst kurz zuvor das Ernst-Busch-Puppenspiel-Studium absolviert hatte und in Erfurt mit Regie angefangen hatte, auf den Posten, gefolgt von Lars und Anne Frank.
Was denen in Erfurt weitgehend, aber nicht so völlig geglückt war, geschah nun in Halle: Das Haus, bald mit neuer Spielstätte in günstigerer Lage, wurde zum führenden deutschen Ensemblepuppentheater. Vermutlich nicht auf höhere Weisung. Und ohne Hartmut Lorenz.
Ich hatte viel früher einmal einen Schreibversuch Christoph Werners als eine Art Mentor begleitet. Und ihn vielleicht ein bißchen kritisiert? Er setzte nun kurz entschlossen das einzige Abendstück des Hauses ab, meinen “Drachen” – so wie Löwen die Kinder ihrer Konkurrenten töten – und inszenierte im Folgenden erst etwas beliebig und stilistisch verwechselbar mit häufig schauspielenden Puppenspielern, bevor er sich deutlicher und immer erfolgreicher mit Puppenspiel profilierte, abgesehen von einem mehrjährigen Intermezzo als Schauspiel-Intendant.
Detailgenaue, meist naturalistische Puppen werden von sichtbaren Puppenspielern geführt. Was in wenigen Szenen meiner Brecht-Inszenierung, Neubrandenburg 1980, einen speziellen Sinn hatte, hatte es dort 1984 in den “Bauern” als stückfüllendes Prinzip nicht unbedingt. Inzwischen, 35 Jahre später, ist es vielerorts Dauerlösung. Besonders in Halle. Naturalistische Puppen, direkt geführt von sichtbaren Spielern.
Was nicht heißt, daß dort mit diesen “abgeschnittenen Marionetten” schlecht gespielt wird. Nein, nach dem, was ich sah, ist das Spiel hervorragend.
1995 im “Drachen” war es das sicher nur der Zeit und den Umständen entsprechend. Aber es gab mal fast keine sichtbaren Spieler. Dafür eher stilisierte statt naturalistische Puppen, am Anfang als Marionetten, dann als eine Art Handpuppen geführt.
Herr Werner ist nicht unbedingt beliebt in der Szene, auch sein früherer Intendant äußerte sich entsprechend. Daß mein “Drache” von 1995 in der späteren Eigenlegende des Hauses nicht etwa der Beginn einer neuen Ära war, sondern schlicht nicht vorkommt, versteht sich fast von selbst.
Aber sagt es nicht vor allem etwas über die Situation des deutschen Puppentheaters, wenn nur ein solcher Berserker anständige Bedingungen durchsetzen kann?: Ein gutausgestattetes Puppentheater gleichberechtigt neben dem Schauspielhaus im Zentrum der Stadt.
Seine internationale Präsenz auf Festivals usw. sollte man nicht überbewerten, sie ist wesentlich eine Sache guter Vernetzung, also des Hinterzimmerköchelns. Wer lädt wen ein? Ich habe das vor wenigen Jahren auf einem portugiesischen Festival erlebt: Puppentheater Halle kam mit großem Tross und Aufwand, ich mit einem Koffer. Und war mindestens genauso im Gespräch.
Aber was Werner & seine Truppe wirklich geschafft haben: Dieses Puppentheater ist beim Halleschen Publikum als kulturelle Größe absolut angenommen, letztens bekam ich keine Karte.
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PS: Soweit hatte ich geschrieben, da entdeckte ich zufällig die Ankündigung des Hauses für seine jetzige Stream-Aktion:
“Den Anfang bestreitet Christoph Werners legendäre Inszenierung von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“, die Maßstäbe setzte und das Puppentheater Halle endgültig unter die ersten deutschsprachigen Theater einreihte. Mit dieser Inszenierung änderte sich das Ansehen von Puppentheater nachhaltig. Die unzähligen Nachahmer und ihre Erfolge freuen uns, aber der Anfang all dessen war hier in Halle bei uns.”
(Kasperbühne Größenwahn?) Abgesehen vom nachhaltig erhöhten Ansehen für das Puppentheater ab ca. 1980 in der DDR – nicht nur in einer Stadt und nicht gerade vom damaligen Puppentheater Halle ausgehend, dafür in vielen auch internationalen Publikationen als konsequenter Neuanfang bezeugt 1) – darf wohl bezweifelt werden, daß heute überhaupt ein Puppentheater zu den “ersten deutschsprachigen Theatern” gezählt wird, egal welches. Der wieder zugenommene Genre-Rassismus – in den Halleschen Verhältnissen vielleicht nicht so zu spüren – dürfte das in absehbarer Zeit so wenig zulassen, wie, daß überhaupt ein Puppentheater zum Theatertreffen ausgewählt wird, egal welches, auch wenn es öfter angemessene Inszenierungen gegeben hat.
Sich gegen diesen abwertenden Umgang zu wehren, gemeinsam, wäre eine Aufgabe der deutschen Puppentheater. Aber es geht anscheinend eher um die Rangordnung, in der Puppentheater Neubrandenburg, Gruppe Zinnober oder ich nur Nachahmer des Halleschen Erfolgsmodells sind. Allerdings nicht ca. 25 Jahre später, sondern früher. Aber wen schert so eine unwichtige Kleinigkeit?
Heil dir im Siegerkranz, Christoph W., wünscht Peter Waschinsky ;-))
1)„Les Marionnettes“ (Paris 1994, umfänglichstes Puppenspielkompendium, großes Autorenkollektiv)
...Ostdeutschland (…) in den 60er Jahren repräsentierte die konservativste Form des Puppentheaters (...)
Die Arbeit der Berliner Schule hat auch das Gesicht des ostdeutschen Puppentheaters verändert.
(...) Das bezeichnendste Beispiel war die Arbeit des jungen Puppentheaters Neubrandenburg, geprägt durch Peter Waschinsky Anhänger der bewußt eingesetzten szenischen Illusion... Seine Konzeption entsprang direkt der Theorie Brechts: Ohne szenische Illusion ist kein Verfremdungseffekt zu erwarten. Diese Konzeption fand ihren vollkommensten Ausdruck in der Inszenierung „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von Brecht, 1980 (Prof. H. Jurkowski, einer der wichtigsten internat. Puppentheater-Publizisten, S. 75 / 77)