UNTOT IN VENEDIG oder Tadzio im falschen Film
Ein alternder Künstler verliebt sich in Venedig in einen Jüngling - der wird ungewollt sein Todesengel, weil der Künstler die Stadt nicht verläßt, während alles vor der Cholera flieht.
"Tod in Venedig". Die berühmte Novelle des berühmten Thomas Mann wurde 1969 vom berühmten Lucino Visconti verfilmt.
Diesen Tadzio, den Thomans Manns Held anhimmelt, ohne je mit ihm zu sprechen, spielte der bis dahin völlig unbekannte 15jährige Björn Andrésen. Regisseur Visconti, offen schwul lebend, nannte ihn auf dem Filmfestival von Cannes den "schönsten Jungen der Welt" - und diese Rolle wurde ihm fortan geradezu brutal aufgezwungen. Die Crew schleppte ihn zu Partys und sogar in einen schwulen Nachtclub. Auch wenn nicht von direkten Übergriffen berichtet wird, war alles wie eine langandauernde latente Vergewaltigung.
So jedenfalls zeigt es arte in einer schwedischen Doku von 2019 über den mittlerweile 65jährigen Björn Andrésen. Der Film zum Film führt dessen sicher problematisches Leben auf eine m.E. ebenso problematische Weise vor. Den Preis des Ruhms kennt man aus vielen anderen Biografien - hier u.a. dargestellt durch die zeitweise völlig verwahrloste Wohnung.
Die alleinerziehende Mutter verließ den kleinen Björn und seine Halbschwester einige Jahre vor dem Film und wurde dann tot aufgefunden. Sie blieben bei der Großmutter, die - so stellt es die Doku dar - nicht wirklich auf den Jungen achtgab. Visconti gab ihr im Film eine kleine Rolle, die interessierte sie angeblich mehr. Aber muß oder besser k a n n man einen 15-jährigen Tag und Nacht bewachen? Das würde doch erst recht zu Revolte und Problemen führen.
Man sieht die Mutter lange in alten Super-8-Aufnahmen, die ihr Verschwinden nicht plausibler machen und die Tragödie für die Kinder nur mittelbar zeigen. Dafür gibt es von Björn nur eine kurze Klavieraufnahme des 18jährigen, von erstaunlicher Perfektion. Denn er war auf Musik fixiert, trotz späterer Schauspielschule. Sein pianistisches Niveau zeigte eindeutig Ernsthaftigkeit, genauer: Diszipliniertes Üben. Aber was von ihm war gefragt: Sein Aussehen, für das er nichts konnte.
Die Doku kehrte mit ihm sogar nach Venedig zurück. Läßt ihn dort und in anderen Landschaften elegisch herumstehen und führt ihn wieder vor - als auf andere Weise gutaussehenden Mann. Daneben auch etwas als erwachsenen oder betagten Nebenrollen-Schauspieler. Aber gar nicht als Musiker. War seine Musikerkarriere, die doch eher seinen Intentionen entsprach, keiner weiteren Vorführung wert? Dabei hat er doch nach einer ziemlich peinlichen Episode als Teenie-Popstar in Japan tatsächlich als Musiker gewirkt. Aber eben nicht als der Superstar, der er als strahlender Modeltyp hätte werden können. Oder s o l l e n !
Aber das wollte er eben nicht. Und so war sein wirkliches Leben vielleicht viel erfüllter, als es die Doku zeigt, die fast nur auf den quasi Absturz fixiert ist und wie so oft nicht am bescheidenen Glück mit Auf und Ab interessiert.
Wikipedia zitiert ihn so: „Tadzio war zwar kein Trauma, aber doch ein lästiger Schatten. Ein Leben ohne ihn wäre auf jeden Fall leichter gewesen, aber auch weniger interessant.“ Nach der großen Erfüllung klingt das nicht. Aber auch nicht nach einem vergeudeten Leben.
https://www.arte.tv/de/videos/084684-000-A/der-schoenste-junge-der-welt/
(bis 27/07/2024)