Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

........................................................THE BIG HALLE PUPPET REPORT Nr. 3

THE BIG HALLE PUPPET REPORT Nr. 3

 

Das Geheimnis des alten Waldes

Dino Buzzati / Peter H. Gogolin / Christoph Werner

Regie Christoph Werner

2004 – Christoph Werner adaptierte eine Geschichte für das Hallesche Puppentheater, mit der der magische Realismus, typisch für die südamerikanische Literatur, ins Puppenspiel einzog. Ein Meilenstein - so zumindest beschreibt das Puppentheater Halle seine Inszenierung.

Weder Autor Peter H. Gogolin noch sein Motivgeber Dino Buzzati sind bekannte Größen, nur wenig findet sich im Internet. Christoph Werner hängt sich hier also nicht an den Erfolg von Prominenz, wie so oft, wenn Literatur fürs Theater adaptiert wird.

Aber der Stoff hat Reizvolles für Puppentheater: Ein alter Oberst und Waldbesitzer und sein Mündel kommunizieren ganz selbstverständlich mit einer Art Königin der Waldgeister, sowie einem alten Wind, hier noch sehr agil, und einer Elster. Beide treten als relativ menschliche Puppen auf. Was aber gut funktioniert.

Ich habe das Stück ca. 2005 schon live gesehen. Es war nach längerer Zeit für mich die erste Aufführung dieses Puppentheaters, die ich sah, und die erste im neuen Haus auf der Kulturinsel. Beeindruckend war, wie aufmerksam das Publikum dem nicht immer ganz leicht fasslichen Stück folgte, wo es doch allzuoft – wenn man sich schon zum Puppenspiel bequemt – zu einer etwas herablassende Zuschauerhaltung neigt, zu keiner großen Anstrengung bereit, sondern: Amüsiert uns mal nett mit den Puppen! Oder: Kleist und Goethe sind natürlich große Literatur, warum nicht mal mit Puppenspiel garniert?

So war das hier nicht. Puppentheater der “höheren Art” aber ganz anders als Frieder Simons verdienstvolles Hallesches Kaspertheater, war 10 Jahre nach Cristoph Werners Beginn beim Publikum angenommen.

Es wird sehr gut gespielt und gesprochen. Schön, wie die Spieler neben ihren eigenen Puppen zwischendurch auch bei den anderen “helfen”, die Bewegungen sind aus einem Guß, gerade, wenn sich zwei Spieler an einer Puppe am Werk sind und sich koordinieren.

Die Aufzeichnung wurde ohne Publikum gut gefilmt und geschnitten, leider ist der Ton manchmal leise und unverständlich. Mit dem Verhältnis Spieler-Puppe hatte ich in meiner Erinnerung damals keine Schwierigkeiten. Das ging mir jetzt etwas anders. Nein, man sah keine Tendenzen, an den Puppen “vorbeizuschauspielen”, sie konzentrierten sich durchaus auf die Puppen.

Aber trotz der beweglichen Puppenmünder war ich öfter versucht, auf die Sprecher – meist sprachen die Puppenführer nicht selbst – zu sehen. Das mag aber im Theater, ohne Kamera, anders sein.

Warum nur zwei Spieler für alle Charaktere sprechen, bleibt unklar. Auch, warum gelegentlich kurze Sequenzen ohne Puppen gespielt werden oder der sonst “fremd” gesprochene Oberst plötzlich vom eigenen Spieler, ist nicht recht erklärlich. Aber es gibt dem Ganzen auch eine surrealistische Athmosphäre.

Dieser Abschied von allen Gewissheiten, dieser Aufbruch ins unerklärlich Offene aber ist das schönste Gefühl, mit dem man aus einem Theater entlassen werden kann” Mitteldeutsche Zeitung.

 

 

Fischbrötchen – Aus dem Leben einer Schildkröte 
von Fredrik Vahle in einer Bühnenfassung von Ralf Meyer, für Kinder ab 4 Jahren und Erwachsene
Regie: Ralf Meyer 

Kann man Schildkröte, Kuh, Frosch, Maulwurf mit Puppen spielen? Ja, aber warum?, schien man sich in Halle zu fragen. Und so geht in diesem Stück von 2015 offensichtlich auch an diesem selbstbewußten PUPPENtheater die seit Jahrzehnten grassierende Mode der schauspielenden Puppenspieler nicht vorbei. Darf ja auch mal sein. Allerdings werden die Halleschen Kinder in diesem Haus aus meiner Sicht auch sonst nicht mit “normalen” Puppen verwöhnt, es gibt vor allem winzige Püppchen in Objekt-Schauspiel-Art. Für Handpuppen gehen die Kinder dann wohl zu den Freien Puppenspielern der Stadt. Beim Langsam-Lauf-Wettbewerb von etwas mehr als zwei Tieren ist deren Darstellung durch auf die Füße aufgesetzte Figürchen dann doch eher Notlösung – und deren Ironisierung nicht allzu kindgemäß. Aber in der aufgezeichnete Vorstellung – mit leider nur einer Kamera ohne Blickfeldveränderung usw. und etwas leisem Ton – saßen auch viele amüsierte Erwachsene. Innerhalb dieses Rahmens machen Franziska Rattay und Nico Parisius ihre Sache gut (ja, die geschätzte Theaterleitung hielt die Spielernamen diesmal nicht geheim). Wie bei allen bisher gesehenen Kinderstücken spürt man gegenüber diesem Publikum keinerlei Herablassung des für seine kontinuierliche Erwachsenenarbeit berühmten Ensembles. Kommt weder kindertümelnd daher noch zeigefingerbelehrend” (hallespektrum)

Der unsichtbare Vater
von Amelie Fried, Konzeption und Bearbeitung: Lars Frank und Ralf Meyer, für Kinder ab 7 Jahren und Erwachsene
Regie: Ralf Meyer

ist leider nicht unbedingt für Kinder zu empfehlen, einfach, weil mit nur einer, noch dazu fast statischen Kamera gefilmt, man erkennt die Puppen nie wirklich. Schade, weil es ansonsten eine runde Sache - und ein Puppenspiel für Kinder ab 7 selten ist.

Die Geschichte ist wie aus der Realität entnommen: Mama hat einen anderen Mann, der jetzt auch einzieht, was Sohn Paul so gar nicht gefällt. Papa ist ausgezogen und nie zu sehen, nur auf Pauls Zeichnung, aber immer noch Pauls Hauptbeziehungsfigur.

Pauls verschiedene Versuche, Ludwig, den neuen, zu vertreiben und Mamas Hauptinteresse wieder auf sich zu ziehen, ergeben sich völlig unangestrengt aus dem Auslöser und genauso wird das auch gespielt von Lars Frank und Sebastian Fortak (Namen weiterhin geheim, aber indirekt dann doch rauszukriegen). Daß mal weder Kleinstfiguren Sprechtexte illustrieren, noch Spielerhände Tischpuppen anfassen und direkt bewegen, ist wohltuend: Die Stabmarionetten, die eben auch mal richtig laufen und mit den Armen gestikulieren können, sind fast optimal und man wünscht sich NICHT, daß hier lieber wie in Grips-Kinderstücken Schauspieler agieren, auch als Kinder. Nur manchmal müssen die Spieler direkt eingreifen Und eine Tasse halten oder Pauls Arme in Renitenz verschränken.

Für dieses Stück ist das sicher alles richtig, trotzdem würde ich mir aus Halle mal verdeckte / unsichtbare Spieler wünschen; sie immer beim Arbeiten zu sehen, ermüdet auf Dauer dann doch und wirkt etwas unüberlegt und routiniert. Aber wer weiß, wie es bei den neueren Stücken aussieht, in dieser Stream-Aktion gibt es ja nur die, die nicht mehr gespielt werden.

Ich bin – in der Mitte des Stückes – auf jeden Fall gespannt, wie der Familienkonflikt sich löst. Nachher gucke ich den Rest.

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Ja, die Aufführung hält ihr Niveau bis zum Schluß, kurze puppenfreie Einlagen und ein Lied zur Gitarre von Lars Frank bringen Abwechslung. Der Schluß stellt kind- und erwartungsgemäß die Harmonie wieder her (mir fast ein bißchen zu viel), wenn der Papa dann doch wieder auftaucht.

Das Ganze hat einen poetischen Realismus, der mir sehr gefiel, am besten von allen bisher gesehenen Kinderstücken vom Puppentheater Halle. Man denkt an die deprimierende Situation in der Berliner Schaubude, wo sicher auch manches Schöne im Kinderspielplan steckt, aber in dessen pausenlosem Wechsel unbemerkt vorbeizischt wie eine Sternschnuppe.

Ja, das Puppentheater Halle ist vom Publikum angenommen – und man kommt auch mit Kindern ab 7 Jahren, während woanders mit spätestens 5 Schluß ist.

Langer starker Beifall – ein Pressezitat am Video-Ende gabs diesmal nicht.

 

Der Sturm

von William Shakespeare, Übersetzung, Frank Günther, eine Kopduktion des Puppentheaters der Stadt Halle und der Bühnen der Stadt Köln
Regie: Christian Tschirner, Christian Weise

Einschätzung zur Halbzeit:

(Vor der techn. Qualität des alten Videos wird von den Machern gewarnt)

Zur Premiere vor ca. 20 Jahren hatte ich einen schweren Verriß gelesen, da war nur der Großschauspieler Traugott Buhre großartig – im Umfeld des jetzigen Streamings las ich dagegen nur (Selbst-) Lob aus den Macherkreisen.

Es ist dann bis jetzt eher eine gute Inszenierung der beiden jungen Regisseure, Tschirner ist gelernter Schau-, Weise Puppenspieler, beide von der Ernst-Busch-Hochschule. Das personenreiche und manchmal ausufernde Stück zu einem Guß zusammenzuschmieden gelingt zwar nicht völlig, aber weitgehend. Der Verriß war vielleicht nur der übliche Genre-Rassismus des westdeutschen Theaters – empört, daß Traugott Buhre zugemutet wird, mit Puppen zu spielen, der sich aber durchaus einfügt, soweit die Rolle des Prospero das zuläßt, die ihn natürlich ein bißchen wie den Gaststar in einer Muppetshow erscheinen läßt.

Die Menschen mit Puppen und die dadurch so viel größeren Geister von Menschen spielen zu lassen, bleibt alles in allem ein bißchen beiläufig, geht aber meist auf, bis eben auf den Menschen Prospero, worum sich die Inszenierung aber nicht weiter schert, auch nicht darum, daß er, auch mit gewissen Zauberkräften ausgestattet, ein Zwischenwesen sein könnte.

Die von Kopf bis Fuß schwarz verhüllten Puppenspieler hinter den ca 80 cm. großen Tischpuppen – ja, schon wieder – sind manchmal so im Halbdunkel, daß man sie vergißt. Manchmal auch nicht, dann fällt auf, daß sie weitgehend nur technisch begründet sind. Dafür sind sie oft zu zweit an den dadurch bewegungsreichen Figuren. Bei einer längeren Puppenszene hocken fünf Puppenspieler nebeneinander, die Puppen vor sich, da bleibt dann das Arrangement auf Dauer sehr statisch.

Die Inszenierung schont gewissermaßen “Prospekte nicht und nicht Maschinen” und hinten bildet ein Zeichentrickfilm quasi die Fortsetzung der Bühnendeko. Das Video, ästhetisch völlig anders als die Puppen, fügt sich nicht allzusehr ein, stört aber auch nicht, hat jedenfalls leider nicht die sensible Kraft wie beim südafrikanischen Handspring-Puppettheatre, in den 90ern zum Deutschland-Gastspiel.

Von der Regie bis jetzt unterbelichtet ist der Luftgeist Ariel von Winnie Böwe. Na kommt vielleicht noch. Mehr Chancen hat Martin Reinkes roher Caliban.

Die Clownsrollen: Jochen Menzel spielt mit Puppen und Eigentext Jochen Menzel, naja, dafür wurde er wohl engagiert, aber Lars Frank hält im hallischen Dialekt dagegen und punktet mit ausgefeilter Puppenführung – und beide zusammen sind schon eine Schau für sich.

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2 Stunden bei vorgewarnt schlechter techn. Video-Qualität – aber besser so als gar nicht – halte ich nicht durch, habe also immer mal unterbrochen. Dadurch verliere ich vielleicht manchmal den Zusammenhang, zudem versteht man den Text schlecht. Das Folgende also unter Vorbehalt:

Inzwischen empfinde ich die verschiedenen Elemente ein bißchen isoliert, auch durch den eklektizistischen Zug in Julia Oschatz' Ausstattung: Eine Art Sperrholz-Probendeko, dagegen „richtige“ Kostüme und Puppen und wieder anders die ganz grafische Videoprojektion, auf die die Inszenierung von 2003 kaum eingeht.

Daß das ganze hier anders als beim Autor nicht auf einer Insel, sondern laut Regie im Theater spielt, wurde kaum umgesetzt und störte nicht weiter.

Die Puppenszenen mit der Schiffsgesellschaft verselbständigen sich etwas, vor allem die Improvisationen von Menzel und Frank. Andererseits wirken grade im „Sturm“ die Clowns-Texte im Original heute meist kaum komisch, da ist die Entscheidung zur Improvisation nicht undurchdacht.

Insgesamt merkt man eine gewisse – verzeihliche – Unerfahrenheit der Regie, wenn das zunächst überraschende Medium Puppe sich abnutzt.

Der Eindruck der schwarzen Puppenspieler als nur technisch notwendige Fremdkörper verstärkt sich, zumal sie für (zu kurze) Momente mal als dienstbare Geister angespielt werden: Sehr schön, wenn im 1. Teil Prospero aus der Kiste die Figuren holt und sie an die in Reihe wartenden Puppenspieler verteilt. Aber derartiges geschieht zu selten. Andererseits honoriere ich, daß hier nicht wie so oft die Puppen- zu Schauspielern werden. Und daß die „Nebenspieler“ zurückhaltend qualifizierte Arbeit leisten, den anderen Puppenarm nicht nur irgendwie bewegen, sondern die Figurenaktion zusammen mit dem Hauptspieler wie aus einem Guß erscheinen lassen.

Die schönen Figuren von Atif Hussein wirken auf mich leider doch ein wenig wie abgeschnittene Marionetten, bei denen der Spieler distanzierter von der Puppe wäre, nicht ständig und manchmal aufdringlich an ihr klebt.

Winnie Böwe, auch gelernte Sängerin, muß dies unentwegt zeigen und ziemlich sinnfrei bekannte Popsongs trällern. Das klingt wunderschön, hält aber die Handlung auf und hindert sie etwas, zu Ariel zu werden.

Das Publikum amüsiert sich und folgt ansonsten aufmerksam. Starker Beifall. Schade, daß man auch bei der Verbeugung nicht zu sehen bekam, wer welche Puppe gespielt hat.

Insgesamt eine annähernd runde, eher gradlinige, vielleicht noch etwas zurückhaltend inspirierte Inszenierung. Beide Regisseure haben ja dann ihren Weg gemacht.

Virtuosität der Bewegungen und nuancierte Spielweise machen den Abend zum Genuß“ Kölner Stadtanzeiger