Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

Irgendwo ein Licht

Mit Leonie Euler und Pierre Schäfer

Regie: Nis Søgaard
Bühne: Josef Schmidt
Puppen: Peter Lutz, Doreen Wagner

 

Gegen Ende lehnt die alte Frau in einer Mauerecke eines verlassenen Kinderspielplatzes. Ist sie tot? Scheint sich auch das kleine Mädchen zu fragen, das sich ihr verunsichert nähert.
Eine von mehreren anrührenden Momenten in dieser überzeugenden Andersen-Adaption. Die übernimmt vom "Mädchen mit den Schwefelhölzchen" Grundstruktur und -situation - ins heutige Berlin versetzt. Aber es ist eine alte Frau, die da durch die Stadt zieht, dabei das nicht nur Schöne, die kalte Welt, die teilweise Ablehnung der anderen mit unerschütterlichem Optimismus ignorierend. Sie ist, so verkündet sie öfter, "aus dem Altersheim abgehauen!" Und sie hat, charaktervoll komödiantisch gespielt von Pierre Schäfer, im Kopf ihre eigene Welt, die weitgehend aber nicht völlig mit der Realität übereinstimmt. Kurz, sie hat einen leichten Knall. Ohne sie damit zu denunzieren, kontrastiert das mit der sonstigen Tristesse und der Sentimentalität der durchscheinenden Andersen-Geschichte.

Schäfer, der, das sollte man bemerken, in seiner ca. 30jährigen Laufbahn fast immer bei den Puppen blieb, auch wenn sonst eher Puppenspielfernes dominierte, spielt in wechselnden Partnerschaften - hier mit der durchaus gleichwertigen jungen Leonie Euler. Die war mir vor einiger Zeit mit einer überzeugenden Eigenarbeit an der Ernst-Busch-Puppenspielabteilung aufgefallen. Nun also "nur" als Mitspielerin, was durchaus positiv zu werten ist; zu oft grassiert bei Puppenspielern der Individualitätswahn. 
Man spielt in wunderbar detailgenauen Mini-Dekorationen des Filmmodellbauers Josef Schmidt auf tischhohen Podesten in kräftigem, großzügigen Gestus. Die kleinen Stockmarionetten von Puppenspieler Peter Lutz und Doreen Wagner haben ausdrucksvolle realistische Gesichter, Trend seit vielen Jahren, aber man merkt, das hat seinen Sinn, zieht das Zuschauerinteresse an. Leider laufen die Figuren schlecht. Meistens macht das nicht viel - in der eingangs erwähnten Situation, wenn sich das kleine Mädchen der möglicherweise toten Frau nähert, stört es jedoch etwas die kleine Tragödie. Die sich dann allerdings auflöst 
Das Ganze neigte manchmal auch dazu, reiner Spieler-Dialog zu werden, mit recht allgemeiner Behandlung des Puppenspiels. Da hätten die Puppen mehr Aktion - nein, nicht action - sondern subtiles Spiel, klares Setzen von Blicken usw. vertragen.

Das Fehlen von Reaktionen des - mit 5 Jahren m.E. viel zu niedrig angesetzten - Publikums  im gestreamten Spiel war für Euler und Schäfer vielleicht etwas schwierig - für mich nicht. Und wenn die heranzoomende Kamera die Spielergesichter ausblendete, war das ein Gewinn. In den Totaleinstellungen wurde deutlich, daß auch diese schöne Aufführung das Uraltproblem der sichtbaren und leider ablenkenden Spieler ein wenig weiter mit herumschleppte. Sicher macht das das Spiel als Spiel deutlich, verfremdet gewissermaßen die Illusion durch den gezeigten Vorgang ihrer Erzeugung. Aber ob neu oder eher nicht, dieses Prinzip wird schnell zuständlich - und damit eben gerade NICHT theatralisch. Jedenfalls tat der kamerabegrenzte Ausschnitt dem Spiel ausgesprochen gut.

Ich möchte Regisseur Nis Søgaard, der sowohl puppenspielfern wie -nah arbeitet, bei letzterem zu mehr Konsequenz ermutigen. Daß er vor zwei Jahren beim hervorragenden "Fest" nach Thomas Vinterbergs Film weitgehend beim Spiel der Puppen blieb, war für mich ein großes Plus dieser Studenten-Ensemble-Aufführung. Das waren eher leicht zu handelnde Klappmaulpuppen. Marionetten - wenn auch mit erleichterndem Führungsstab - sind für ihn wahrscheinlich neu.
Allerdings nicht für die Branche. Muß die trotzdem ihre Erfahrungen immer wieder neu machen, statt auf denen der Vorgänger auzubauen? Vor über 20 Jahren gab es zwei größere Eigenproduktionen mit Marionetten - an der Schaubude. Wo leider nicht recht verstanden wird, daß man Puppenspiel nicht einfach ab- und wenns nochmal Mode wird, schnell wieder anschalten kann. Auf jeden Fall ist es gut, daß ich hier kurz hintereinander über drei wirkliche Puppenspiele aus diesem Hause schreiben konnte, positiv.
Und wenn in "Irgendwo ein Licht" die Figuren durch ein filmreif gestaltetes Modell-Berlin laufen, erweisen sich Marionetten als genau richtig.
Die überzeugten übrigens schon einmal in zwei eher Außenseiter-DDR-Produktionen, aber bis heute erinnerlich, schon in den 70er Jahren. Waaas? Sind gar nicht innovativ? Na dann aber ganz schnell zurück zu den bewährten Tischpuppen!
Oder?