Wie halten wir es im Puppenspiel mit Meinungs- und Pressefreiheit? Ganz einfach, dachte ich. Statt meiner wollte ich hier den Nachwuchs selber sprechen lassen. Jedoch…
Ich hatte zunächst wieder mal über ein Marionettenvorspiel des 2. Studienjahres Ernst-Busch-Puppenspielabteilung geschrieben, bei fast durchweg Anfänger-Dozenten, alleingelassen, und mit entsprechendem Ergebnis – im 50. Jahr von Ernst-Busch-Puppenspiel-Ausbildung. War eben nur die unwichtige Marionette, nicht deren seit über 30 Jahren hochmoderne Version mit abgeschnittenen Fäden, den Tischpuppen. Wie immer, wenns eher negativ ausfällt, schickte ich es nur an die Betroffenen, hier also an die Abteilung. Selbst noch künstlerisch ein wenig tätig, veröffentliche ich nur überwiegend Positives; die Restkritik darin ist manch sensibler Seele aber wohl immer noch zuviel.
Ich rezensierte auch die Vordiplome des dritten Studienjahres, das deckt sich überwiegend mit Ralf Kiekhöfer im letzten PMO. Ich lobte das Kasperspiel „linda fülle – seid ihr alle da?!“, das Schau- und Puppenspiel „janna mohr – panne?“ und die Installation (!!!) „moritz schönbrodt – blätter, dämmerung – die esche von eythra“ („Drei Minuten, die nachklingen“, schrieb ich dazu). In zwei anderen Beiträgen störte mich das mäßige Puppenspiel – von einer „PuppenspielKUNST“-Hochschule. Zwei Installationen fand ich schwach – zu Toleranz betreffs Genregrenzen bin ich nicht mehr bedingunglos bereit, sie wurde und wird zu oft mißbraucht.
Nie hatte die Abteilung weder auf meine internen, noch die öffentlichen Kritiken/Rezensionen reagiert – ist die Abteilung an einer Meinung von außen überhaupt interessiert? Jedenfalls war ich verblüfft, als mir eine neue Mitarbeiterin schrieb: "Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit, die Sie unserer Arbeit widmen und die ausführliche Auseinandersetzung mit den einzelen Studierendenarbeiten. Aus Ihren Texten spricht viel Erfahrung und Interesse an dem Genre und ein kritischer Geist. Bleiben Sie uns gewogen." Peng!!!
Noch verblüffter war ich allerdings über die Reaktionen, als ich - von PMO um hier diesen Artikel gebeten - Studenten anschrieb und um Interviews und IHRE Meinung bat: Keine Antwort. Nur eine schrieb mir quasi, was man dort so denkt: Da ich in meinen Kritiken immer nur Krieg mit der Puppenspielabteilung und der Schaubude führe, zudem selber nur auf "traditionelles" Puppenspiel orientiere und fachlich kaum kompetent sei, wolle sie sich dafür nicht mißbrauchen lassen. Rumms!
Nun wage ich auf meine Youtube-Präsenz zu verweisen, die vielleicht nicht so ganz einseitig-“traditionell” wäre, würde man sie denn wahrnehmen. Aber daß ich keine Koryphäe sein kann, bewies ihr das einzige gesehene Stück von mir. Das zu den drei Bühnen-Versionen über das “andere” Buchenwaldkind gehört, die die Schaubude 2019/20 konsequent und abstrus ausschloß.
Rassismusverdacht und Puppenspielvermeidung
Und hier berühre ich ein anderes, von Günter Staniewski in PMO 122 angesprochenes Problem: Verdacht von Rassismus (in früheren Disneyfilmen und bald evtl. auch in Puppenstücken) und den immer hemmungsloser instrumentalisierten Anti-Rassismus. Möglich auch wegen des Wegschauens der Puppenspieler. Vor allem, als gar einer der drei Abende von der Schaubude mit schwiemeliger Rassismus-Unterstellung gekündigt wurde. Zensur ?
Es ging in den drei (!) Puppenspiel-Adaptionen von Annette Leos Buch “Das Kind auf der LIste” von 2018 vor allem um Willy Blum, in Auschwitz ermordeter Sinto und – Puppenspielersohn. Also viel zu viel Puppenspiel-Bezug für die dauerinnovative Schaubude. Und so hatte ich das Stück ohne Geld und ohne Hilfe der Schaubude (vorgeblich “Haus der Berliner Puppenspieler”) nur in einer szenischen Lesung mit zwei Freunden und vorhandenen bzw. aus Papier improvisierten Puppen angekündigt und präsentiert. Nein, das versteht unsere Jugend von Ernst Busch – mit eigener Werkstatt und anderem relativen Luxus und gewohnt, jeden eigenen Mißgriff zum Experiment zu deklarieren – nun gar nicht.
Und auch nicht, was ich an der Schaubude und deren konsequent zeitgenössisch-kreativem Profil zu kritteln habe. (Programm jetzt, Mitte Juni: „Parcours mit drei Installationen für je eine Person”, “Interaktive Installation im öffentlichen Raum“, „Online-Talk“, „Materielle Performance und biografisches Dokumentartheater“, alles wörtlich, nichts ausgelassen.)
Überhaupt: Das renommierte Festival Erlangen lud kürzlich das Vordiplom-Stück der zu mir so kritischen Studentin ein und adelte es so, wie alle sechs ihrer Gruppe. Schon bevor sie fertig waren.
Vor Jahren versuchte noch die Schaubudenleiterin, die lange Zeit zuvor selbst als DaT-Redakteurin unpassende Artikel aussortiert hatte, mich Mecker-Rezensenten austauschen zu lassen. Sorgt jetzt statt dessen der Nachwuchs für ein wieder äh... konformeres Meinungsbild, mit Tabu- und Problemaussparung usw.? Jedenfalls läßt man sich doch nicht mit einem wie mir ein!
Mal Klartext: Ist es Zufall, wenn eine Studentin gerade jetzt versucht, eine Veröffentlichung zu verhindern? Nicht erst in PMO 122 (Bernd Ogrodnik 2021) wird das Puppenspiel-Vermeidungs-Theater kritisiert. Aber eben meist höchst vorsichtig. Ogrodnik fordert „tägliches Üben“. Daß ich das ab 1977 (!!!) am Puppentheater Neubrandenburg durchgesetzt hatte, war Basis dessen Erfolgs. Und prägte damals die Ernst-Busch-Puppenspielausbildung. Übrigens teils bewundernd, teils pikiert von der Westszene beobachtet: Für manchen war das Beschränkung der kreativen Freiheit.
Schlampiges Handwerk und Schauspieldrang
Um 2009 stellte dann ein heute sehr erfolgreicher Ernst-Busch-Absolvent in seiner Diplomarbeit fest: „Trotzdem die handwerkliche Ausbildung, besonders im Fach „Puppenführungstechnik“, an unserer Hochschule einen großen Raum einnimmt, beobachte ich immer wieder, sowohl innerhalb studentischer Arbeiten, als auch in der Praxis, diesbezügliches Desinteresse und scheinbare Ahnungslosigkeit. Es wird häufig einfach schlampig, unpräzise und eingleisig animiert.“ Und heute?
Seit Jahrzehnten werden in die Ernst-Busch-Puppenspielklassen wegen Mangel an talentierten und entspr. orientierten Bewerbern – weil man in Berlin kaum inspirierendes Puppentheater sieht? – abgelehnte Schauspielbewerber „umgelenkt“. Das klappt meist so gut wie Schwule auf Hetero zu therapieren, brachte kaum mehr Puppenspieler – aber eine inzwischen beträchtliche „Eigentlich bin ich Schauspieler“-Blase. Die Puppenspiel verachtet. Puppenspielprojekte platzen – wegen Mangel an Spielern, in keinem anderen Genre vorstellbar.
Bei diesen Leuten hat sich offensichtlich von meinem/unserem Protest von ca. 1998 gegen die Umwandlung der Ernst-Busch-Puppenspielabteilung zur Ersatz-Schauspielschule - mit teils schamlosen Ausfällen dieser „Schauspieler“ - nur weitergetragen, was ins Bild paßte: Nicht die folgende Hinterrücks-Verleumdung der Protestler durch die Abteilung beim Senat, sondern: Meine „Puppetry first!“-Devise – durchaus Vielfalt und Grenzgänge einschließend – wurde mir aufs primitivste als „Puppets ONLY“ reduziert unterstellt. Und da diese Leute sich auch nicht informieren und sich wie seit Jahrzehnten die Dozenten nichts ansehen, ist das Waschinsky-Bild fertig.
Wohl auch für die Leitung am großen "Musiktheater im Revier" Gelsenkirchen und dessen neue Puppenspiel-Sparte (in Kooperation mit Ernst-Busch-Puppe, ermöglicht durch eine Sonderförderung des Landes NRW). Auch die reagierten nicht auf meine zwei Mails. Alles wirkt dort widersprüchlich:
Für die vermutlich guten Bedingungen eines solch großen Hauses mit einem selten vielfältigen Musiktheaterspielplan müßten Puppen-Absolventen doch Schlange stehen, es müßte ihnen Bodenhaftung geben, wenn sie sehen, was Musik- und Tanzprofis, Opern- und Musicalsänger können müssen im harten Konkurrenzgeschäft. So dachte ich. Und zunächst hatte man Puppen-Studenten dort den Teppich gerollt und sie zu "Puppetmasters" gekürt. Aber – so entnehme ich dem Internet – fürs Repertoire mit Puppenspiel-Anteil werden inzwischen Gäste eingekauft mit kaum erkennbarem beruflichen Hintergrund. Das eigentliche Puppenensemble besteht nur aus einer (1) Frisch-Absolventin als Spartenchefin und zwei Puppenspielstudenten im Praktikum. Zwei weitere Puppenspielstellen waren offensichtlich nur mit Schauspielern zu besetzen – ohne Puppenspiel in der Vita. Die ihre Sache, jedenfalls im Video, gut machen.
Money, Money?
Aber natürlich fragt höchstens ein Depp wie ich, der bei Ernst Busch Puppe nur 23 Jahre unterrichtet, das Fach Puppenspieltechnik eingeführt, als einziger deutscher Dozent drei Jahre an der franz. ESNAM gelehrt und zu Hause einst eine Marionetten(!)-Inszenierung beigesteuert hat, die international als bezeichnendste Auswirkung der Berliner Schule gefeiert wurde, kurz, der in seinem Leben nichts zustande brachte, wie die o.g. hochinformierte Studentin treffsicher erfaßt hat, fragt also nur sowas wie ich nach dem Sinn einer speziellen Puppenspielausbildung, wenn dann am Ende eher Ungelernte ... Und natürlich ist es nur meine Wahnvorstellung, von einer hochsubventionierten Hochschul-Abteilung (für PuppenspielKUNST!) professionelle Ergebnisse vor allem im K e r n bereich zu erwarten. Denn worum gehts wirklich? Daß noch ein paar beim Schauspiel durchgefallene Bewerber Schauspieler werden können - übers Puppenspielstudium. Die man nicht mit komplizierten Puppenspieltechniken belästigen soll. Und durch die ganz nebenbei ein paar Professorenstellen erhalten bleiben. Und die entsprechenden Gehälter.
Noch ein Blick nach Westen zur Grande Nation und der Super-Puppenspielschule ESNAM. Neben Werken wie vom Kreativkurs für benachteiligte Jugendliche und einigen Zuschauer-Gedulds-Übungen, gab bzw. gibt es (alles ist noch im Netz zu sehen) auch diesen Solo-Abschluß:
"Morsure" (Biß) von Coralie Brugier. Ich schrieb: Ein Bär „umarmt sie, streichelt, vergewaltigt, beißt sie. ... Metapher und Ambivalenz funktionieren, weil zuvor die Details einer - z.B. erotischen - Beziehung zwischen Intimität und Aggression konkret ausgespielt werden. Die Spannung entsteht durch den Rhythmus und großen Mut zu Pausen ... Das Prinzip des Puppentheaters wurde im besten Sinne erfüllt.“
Wieso gefiel mir das – ich orientiere doch ausschließlich auf „Traditionelles“?
Peter Waschinsky
Das angegriffene Puppenspiel „Zigeunerleben oder der Bär im ZK“ steht auf youtube
Zu verweisen ist auch auf zwei Absolventen am Puppentheater Halle in „Schule der Frauen“, Rezension hier im GENERALANZ.