Vorrede: Kürzlich sah ich die Aufzeichnung einer Schauspielinszenierung nach einem älteren Max-Frisch-Text, zum Theatertreffen 2020 ausgesucht - von einer Jury aus mehreren Personen. Es sei das erste größere Stück zur Klimakatastrophe. Ich selber habe einen Ansatz dieser höchst correcten Botschaft nicht wahrnehmen können und hätte das Ganze sicher als übliches abgehoben-sperriges Theater abgetan. Aber ich las vorher den "Klappentext". Ich will sagen: So kann man sich irren. Und vielleicht tue ich das auch im Folgenden.
"Die DeathCleaner": Gebrauchte Gegenstände verabschieden sich vor dem Gang in ihr Grab, also die Tonne. Dann: Menschen aller Art werfen weg, was wegmuß. Da wird es radikal, aber es tauchen auch Zweifel und Spannungen auf. Muß es wirklich weg?
Die Überraschung: Statt der seit langem üblichen sichtbaren Spieler, die Figuren und Objekte animieren und das Ganze kommentieren, gab es ausschließlich (zumeist Hand-) Puppen. Als Handpuppen wurden kürzlich für eine TV-Sendung welche bezeichnet, die ganz klar Klappmaulpuppen waren. Tja, bei Jüngeren ist schon vergessen, wie die eigentlichen Handpuppen aussehen.
Kaufmann & Kaufmanns Handpuppen waren also wirklich welche, mit Fingern in Kopf und Armen, und sie bestritten zumeist die Handlung, genauer Handlung e n der separaten Szenen. Dieses Spiel war handwerklich weitgehend ohne Mängel, aber auch ein wenig ohne Biß. Mir fehlte etwas das Zupackende eines Hans Jochen Menzel, der zuletzt in "Kasper unser" gezeigt hatte, daß man gestisch kräftig und trotzdem subtil und präzise sein kann. Wirkt hier die jahrelange Praxis des Duos nach, vor allem Gegenstände und Minipüppchen in der Art von Spielzeugindianern herumzuschieben?
Daß man jedoch auch nicht in Comedy der gröberen Art verfiel, sondern die Balance zwischen einer nuancierten aber letztlich heiteren Form auf jeden Fall suchte, das ist positiv zu vermerken. Ebenso das sehr ordentliche Handpuppenspiel, früher bei ihnen manchmal eher nachlässig, sowie, daß von Menschen ausschließlich die Hände sichtbar waren - hat das anderswo längst zurückschwingende Pendel zum Puppenspiel-Kerngeschäft auch Schaubude und eingeschworene Objekt-Spieler erfaßt?
Zu meinen Einschränkungen über "DeathCleaner" muß man natürlich coronabedingte Probleme in Betracht ziehen, vor allem das in der aufgezeichneten Premiere fehlende Publikum, das dem Ganzen durch Reaktionen sicher Antrieb und Würze gegeben hätte. Und daß reale Aufführungen eine Woche nach der Premiere, als ich es sah, bestimmt ein eingespielteres Stück ergeben hätten, mit mehr Spielfluß und Pointensicherheit statt einer unveränderlichen Aufzeichnung.
Partner Sven Mathiasen vom relativ unbekannten Figurentheater Wettingen hatte zusammen mit den (nicht verwandten) Eva Kaufmann und Alexandra Kaufmann Konzept und Text entwickelt und saß vor der Bühne, um das Wort Regie zu vermeiden. Dieses kollektive Wirken äußerte sich zwar auch in der ein wenig unentschlossenen Dramaturgie, einer etwas gleichbleibenden Temperatur und dem nicht allzu unterschiedliche Profil der verschiedenen Figuren, brachte aber wohl auch produktiven kreativen Austausch und prägnante Momente wie die ihr altes Fotoalbum zum Abschied streichelnde betagte Diva, das Kind, das geliebtes Spielzeug entsorgen soll oder Sequenzen um das blöd quäkende und auch wieder berührende Gummihuhn, mit dem ich durchaus mitfühlte, einem billigen Massenartikel. Mit weiterem Spiel - wie irgendwann zu hoffen - wird sich da sicher noch einiges entwickeln.
Uneins mit mir selber bin ich bei der Bewertung der zentralen Stück-Message: Ja, viele von uns haben zuviel Zeug, oft gedankenlos an- und wieder abgeschafft. Daß das Stück es bei der Kritik am individuellen Verhalten beließ und dessen globale Auswirkungen eher aussparte, ist das gut? Denn das ist ja heute in Medien oft Thema, also bitte nicht schon wieder. Oder wäre die thematische Erweiterung auf den Ressourcenverbrauch im Großen zwingend, so als könnten wir unsere zerstörte Welt in die im Stück gezeigte Tonne werfen, da wir ja eine zweite Erde haben? Nach einigem Grübeln von mir vielleicht nur soviel: Ein gewisser Hinweis auf die größere Dimension des Problems hätte vielleicht nicht geschadet.
Inhaltlich in klarem Bezug zu den Handuppenspielszenen, aber formal nachdrücklich abgesetzt, war das Objekttheater. Was heißt Theater - das war einerseits geradezu dessen Verweigerung: Die Requisiten wurden auf eine Fläche gestellt oder gelegt und von Händen nur wenn nötig sachlich bewegt, dazu sprachen die Spielerinnenstimmen für die als Subjekte verstandenen Dinge aus dem Off. Das war einerseits das, was Tom Mustroph kürzlich über ein anderes Objekt-Stück schrieb: "Für das Genre Objekttheater hält sie sich auch zu sehr zurück im Einsatz von, eben, Objekten. Sie nennt sie, nimmt sie gelegentlich auch in die Hand, ein direktes Animieren dieser Objekte findet aber eher selten statt.... (Das) Sprechen lassen der Objekte" fände also kaum statt, "Zu häufig monologisieren nur die Menschen." In "DeathCleaners" allerdings fand ich das Weglassen von Requisiten-Animation - die ich seit seiner "Erfindung" vor 40 Jahren sehr oft als ungenügenden Puppenspiel-Ersatz erlebt habe - als folgerichtige Konsequenz. Der Text beschreibt das Schicksal des jeweiligen gezeigten Gegenstandes und seiner Besitzer, damit ist alles gesagt. Ohne Melodramatik und pseudotheatralisches Objektgewackel.
Kürzlich konnte wieder einmal jemand mit dem Wort Objekttheater nichts anfangen, diesmal der an sich puppenspielfreundliche Moderator einer Radiosendung, ich war Gast. Und das trotz permanenter "Theater der Dinge"-Festivals der Schaubude seit vielen Jahren.
Mehr Zuschauerinteresse bringt vielleicht, wenn die Schaubude öfter, so wie diesmal, Stücke länger spielen läßt, die sich somit herumsprechen können; mich freut, daß es ein überwiegend Puppenspiel traf. Daß sich zunächst vermutlich die bisherigen Besucher der üblichen zwei Vorstellungen auf die einer ganzen Woche verteilen, kann sich mit der Zeit ändern - wenn das Haus die Geduld aufbringt, die es seit langem für die Etablierung des Objekttheaters hat.