DIE BERLINER STADTMUSIKANTEN
Theater Zitadelle / Theater im Bergmannkiez
Regie Pierre Schäfer
Puppen Mechtild Nienaber
Wie wars? Mit einem Wort großartig! In einer edelalternativen Ecke von Kreuzberg – nachdem ich Stunden in diesem weiteren Umfeld kein deutsches Wort gehört hatte – sah ich, pardon, deutsches Puppentheater. Ohne daß es irgendwie muffig-germanisch oder sonstwie tümlich wurde. Die Wagner-Family endlich mal in Berlin und wie man hört demnächst öfter. Noch nicht regelmäßig, wir wollen nicht übertreiben. Ich hatte es jedenfalls lange nicht sehen können. Weil fast nie in der Hauptstadt.
Es war voll.
Die vier Tiere, andere als bei Grimm, brechen hier aus einem Altersheim in Brandenburg aus, schaffen es aber dann doch nicht zum Zielort Berlin. Vielleicht aber in den Fortsetzungen – bis jetzt gibt es 4 Teile.
Star des Abends ist Daniel Wagners grandiose Katze: Die meist rauhe Stimme läßt ab und zu ganz gegensätzlich ein kurzes leises Miauen hören, dazu skurrile Verdrehungen des Kopfes, in dem die Hand steckt – da wird die synchrone Klappmaularbeit fast zur Nebensache, und grade w e i l völlig perfekt, ist man hingerissen und denkt nicht daran, wie es gemacht wird.
Dramaturgisch nicht unbedingt stimmig, vielleicht auch nur nicht genügend u n stimmig für den Stil des Stückes, erzählen sich unterwegs alle Witze – und gerade als die der Katze überhaupt nicht mehr witzig sind, ist der Irrsinn am größten. Und damit die Komik. Das ist genau kalkuliert bzw. bestens eingespielt und erinnert an Hans Jochen Menzels Figuren, ist aber im allerbesten Sinne eine Weiterführung. Nunja, Pierre Schäfer aus dem Menzel-Stall ist hier Regisseur.
Das ist jedenfalls das Gegenteil krampfhafter Innovationsversessenheit, bei der allzu häufig allzu Gleiches herauskommt.
Daniel Wagner spielt mit der anderen Hand stimmig den alten Wolf, Regina Wagner, Mama der Company, gibt hervorragend Kuh und Spatz. So als hätte das herausragende Talent des Sohnes bei ihr Kräfte geweckt, ist sie niemals nur Nummer Zwei im Duo – auch wenn sie es faktisch ist. Aber Daniel W. ist auch ein hervorragender Partnerspieler, er drückt keinen weg wie gelegentlich bei seinen Vorbildern wahrzunehmen.
Daß man die Spieler hinter den Puppen auch mal wahrnimmt, wenn sie NICHT die Pfleger sind, stört hier nicht wie so oft, es ist hier sehr dezenter Bruch der Illusion. Um nicht gleich Brecht und Verfremdung zu zitieren, was ja an Sperriges und kaum Vergnügliches denken läßt.
Die schönen, detailfreudig gestalteten und funktionsgerechten Puppen von Mechtild Nienaberentsprechen den oft geradezu ziseliert gespielten Szenen, das Duo liefert Nuancen und Pointen, zeitweise wird nach jedem Satz gelacht. Dramaturgisch klappert es manchmal: Die Idee des Ausbruchs nach Berlin kommt zu nebensächlich zustande, bzw. wird dann nicht zum großen, den Lebenssinn rettenden Ziel und wenn man einfach auf das Ziel Berlin gespannt ist, passiert anderes, was einen weniger interessiert, auch wenn es großartig gespielt wird. Das am Ende böse Altersheimpersonal ist plötzlich wie aus einem anderen Stück – vielleicht müßten sie wegen des Gegensatzes am Anfang noch hinterhältig-freundlicher sein, jetzt erinnern sie zunächst an das reale Pflege-Problem unseres Gesundheitssystems, was das Stück aber nicht bedient. Und auch nicht muß, hier gehts um was anderes. (Vielleicht aber wäre eine Andeutung, daß die Pfleger für 1,32 € Stundenlohn arbeiten, wodurch sie kriminell werden MÜSSEN, doch Qualitäts-Comedy-gerecht)
Etwas enttäuschend zunächst, daß der Gesang nur Playback ist, allerdings wird später, wenn dazu wunderbar puppengespielt wird, durchaus eine Nummer daraus und es gibt Beifall.
Aber all das ist von mir Gemecker auf allerhöchstem Niveau.
Richtig problematisch finde ich etwas ganz anderes: Nicht wirklich, daß ich aus der dritten Reihe sichtbehindert war, was aber für die letztlich eingeschränkten Bedingungen für Puppenspiel steht. Wo Leiter Tim Sandweg im besser gestellten, einzigen „Staats“-Puppentheater Berlins seit 10 Jahren vor allem Puppenspiel-Randbereiche aus der Ferne heranholen und faktisch gegen Hiesiges instrumentalisieren darf – der Austausch vor allem Berliner Puppenspieler auch mit Fremden, vor allem aber untereinander, deklarierte Aufgabe dieses Hauses, wurde längst zum Erliegen gebracht. Auch, weil Äußerungen und Verhalten von Puppenspieler-Außenseitern nicht konform waren?
Die meisten nehmen ja alles mehr oder weniger hin in dieser ziemlich abgeschotteten Welt. Auch, als 2018 aus Berlins zweitgrößtem Puppentheater ein weiteres Bühnchen für Tanz gemacht wird, leider mehr und mehr invasive Art?
Ich habe Regina W. aus einem unterhaltenden wie tiefsinnigen Kleist/Storm-Abend in der Schaubude in Erinnerung, künstlerisch der wohl größte Erfolg des Hauses in seiner ersten Phase, nicht nur wegen heute unvorstellbaren sieben Presse-Rezensionen, fast durchweg jubelnd.
Und so schön, komisch, hinreißend Daniel W. in der STADTMUSIKANTEN-Serie auch ist: Auch ihn möchte ich einmal in etwas ganz anderem sehen. Bei allem Verständnis für notwendige Kompromisse. Talent ist ein Geschenk – man ist verpflichtet, es zu pflegen.
oooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo
KULT-DILETTANTEN? DILETTANTEN-KULT?
22. Juni 2024: Ich kommentiere kürzlich die Fidena-Rezension zum Helmi
und trage es darunter ein. Statt Veröffentlichung kommt vom Fidena-Forum eine Mail :
"... danke für Ihren Kommentar zur Kritik zu „Death is not the end“.
Zunächst: Weit und breit hier keine Kommentare mehr. Was sagt das über das Interesse ?
Da muß ich ja wohl nicht traurig sein, auch dies Jahr nicht mit KASPARETT zur Fidena geladen zu sein, wie während der gesamten endlosen Dabs-Ära, nachdem ich 1982 mit einer Werkschau, darin auch dieses Stück, da war und zum wichtigsten deutschen Puppenspieler meiner Generation gekürt wurde. Vor allem aber war dieses Stück eines der ersten des Aufbruchs im „sowjetisierten“ DDR-Puppenspiel.
Zuletzt war es ein Hauptbeitrag, als der Kasper 2021 zum UNESCO-Weltkulturerbe wurde. Ich (74) spiele in diesen Tagen damit auch meine Bühnen-Abschieds-Vorstellungen, bin dann nicht mehr der Theater-Aktive, der auch schreibt – davon aber nur die überwiegend positiven Rezensionen veröffentlicht.
Allerdings wirkte auch das wenige Kritische darin in den freundlichen – oder besser laschen ? – Puppenspielverhältnissen manchmal schon wie eine Bombe.
Jedenfalls: Ab jetzt halte ich mich nicht mehr an: Keine Kollegen „abschießen“, solange ich noch selber Theater-involviert bin. Bins ja nicht mehr.
Das Helmi geht auf den Berliner Helmholtzplatz im Szenebezirk Prenzlauer Berg zurück. Ich habe es zuerst vor wenigen Jahren gesehen, da war es schon länger Kult. Und ich fragte mich: Warum? Wegen der originellen Puppen? Weil man ihm über seinem Charme, vielleicht auch den interessanten Themen das schlichte Laienspiel nicht übelnahm?
Aber während in anderen Genres Kritikern und Publikum der professionelle Maßstab bewußt ist, wenn blutige oder urige Amateure ins „professionelle“ eingefügt werden – ggf. mit einer bestimmten kontrastierenden Wirkungsabsicht – und sie diesem Maßstab überdeutlich nicht entsprechen, ist das bei Puppenspiel anders. Da ist dieser Maßstab oft nicht präsent und Publikum und Presse denken eher: Puppenspiel IST so! So schlecht. Weil sie ansonsten nichts kennen. Und verklärte Puppenkisten-Erinnerungen haben. Auch so ein Laienspiel.
Zum Helmi, als ich vor einiger Zeit zwei Stücke sah: Inzwischen hatte sich der Charme verflüchtigt, dafür gabs Anspruch. Also eine gewisse Unverständlichkeit, die manchem als Kunst gilt. Ich jedenfalls dachte: Hier wollen welche viel – und können wenig.
Ist das Helmi jetzt professionell?, dachte ich beim Lesen der Fidena-Kritik. Denn der Rezensentin schien ja nichtprofessionelles Puppenspiel nicht aufgefallen zu sein. Iberl-Thieme ist Ernst-Busch-Puppe-Absolventin und im Gelsenkirchener Ensemble 1) , klar. Aber die anderen?
Oder hat die Rezensentin wie so viele für Puppenspiel-Qualität gar keinen Blick?
Das Helmi war auch Teil einer Inszenierung, geladen zum 2024er Theatertreffen, anmaßend immer noch so genannt, obwohl es ja bekanntlich ein reines S c h a u s p i e l treffen ist. Kurz: Werden bei solchen Puppe-im-Schauspiel-Aktionen jetzt lieber Laien eingesetzt, weil die für den Puppen-Effekt ja reichen, aber billiger sind?
Na, da hatte ich ja Glück. Ich wurde für sowas ab 1976 noch sehr bewußt als Profi geholt. Und auch bezahlt.
1) Zum Gelesenkirchener Puppenspielensemble (?):
(Kapitel "SCHLUSS: Marionetten, Stasi und Gelsenkirchener Barock")
oooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo
Zwischenakt:
Das Berliner FLIEGENDE THEATER brachte mit „BUCHSTABENSPIEL“ eine Art Basis-Lese-Revue für Kinder ab 4 heraus: Die kümmert sich nicht darum, daß Ältere sich an Ähnliches erinnern, Bücher für Lese-Anfänger oder die Sesamstraße, sondern macht unbefangen drauf los. So scheint es, aber natürlich ist alles gut überlegt – Regie Ulrike Winkelmann. Hausherr Rudolf Schmid führt durchs Programm, bedient Gitarre und Keyboard und singt, Solveig Frank ist skurril-sympathische Clownin, die mit den Buchstaben so operiert, daß sie nur wenig zu Puppen werden, sondern ohne jede Trockenheit angemessen bleiben, was sie sind: Die Grundelemente der Schriftsprache.
Einmal lassen die beiden auch winzig- piepsige Püppchen agieren, was dem gewissermaßen Objekttheater guttut. Auf der Leinwand hinten Zeichentrick der ganz einfachen Art, was konsequent bewußt u n t e r den digitalen Möglichkeiten bleibt, auch wenn Schmid einfache Tiere, die projeziert werden, auf dem Laptop zeichnet. Allerdings hätte ich gerne gesehen, wie er zeichnet – da versperrte was die Sicht.
Die ganze sympathische Sache wurde von den Kindern durchweg bestens angenommen, keinerlei Anzeichen von Langeweile. Ich wünsche viele Zuschauer, aber teilweise ist schon ausverkauft.
oooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo
Die Zuschauer
von Martin Heckmanns, Regie Moritz Sostmann
Puppenspielstudenten des 3. Studienjahres der HS Ernst Busch
In unserer Zuschauergruppe von sieben Personen, alle unterschiedlich (Puppen)theaternah, schien „gefallen oder nicht“ sehr davon abhängig zu sein, wie oft man schon Puppentheater und speziell in diesem Stil gesehen hat.
Alle waren grundsätzlich angetan von den spielerischen Leistungen der Puppenspielstudenten des 3. Studienjahres, ebenso von den skurrilen Stab- und Klappmaulpuppen der Magdalena Roth in den (stilistisch für mich etwas beziehungslosen) Einlagen.
Die gewissermaßen Hauptfiguren des Hagen Tilp, der, was Puppenmacher wie die Weinholds, Christian Werdin, Suse Wächter u.a. an Puppen-Realismus eingebracht hatten, zu einer Art expressivem Hypernaturalismus gesteigert hat, wirkten einerseits faszinierend. Andererseits gab es teilweise, auch von mir , „Gähn“ über die nicht nur von diesem Regisseur gepflegte Manier, verkleinerte Menschen - oder abgeschnittene Marionetten? – von sichtbaren Spielern direkt führen zu lassen, ohne daß das irgendeine Bedeutung bekommt.
Ich erinnere mich, wie oft ich außerdem in Rezensionen angemahnt hatte, daran zu arbeiten, wie diese Spieler nicht ablenken. Woran sich aber Dozenten und Regisseure wohl gewöhnt haben.
Das Stück von Martin Heckmanns, schon öfter an Schauspielhäusern gespielt, zeigt zumeist grotesk überhöht mehr oder minder direkte Reaktionen von Theaterbesuchern auf Gesehenes – hier mehr oder minder gut bis hervorragend gespielt, wozu der Text unterschiedliche Gelegenheit bot. Natürlich kann das Stück gerade seinem Bemühen um Gegenwärtigkeit angesichts jüngster Ereignisse nicht wirklich entsprechen und bei aller Drastik ließ mich das Stück eher lauwarm. Ist also Aktualität wirklich eine Sache des Theaters der Dramatik, also der geschriebenen Stücke, die nunmal ihre Zeit brauchen, um vor die Zuschauer zu kommen?
Schade, daß in einer Inszenierung, wo Puppentheaterpuppen über Schauspiel reden, das Puppenspiel thematisch nur kurz gestreift wurde und diese Reibung oder Annäherung der Medien nichts ergab.
Als keineswegs lauwarm empfand ich übrigens die Musik von Philipp Pleßmann, eingängig aber nicht banal.
Um nicht zu langweilen, hier nur ein kurzer Hinweis, daß die einerseits unbezahlten Studenten andererseits scheinbar alles haben, sogar eine Puppenführungs-Beauftragte (Magda Lena Schlott) – analog zm Ballettmeister beim Ballett - wogegen es Inszenierungen wie diese, also mit Ensemble-Puppenspiel, seit einem Vierteljahrhundert in Berlin auf bescheidenster professioneller Ebene nicht mehr gibt - m.E. ein Ausdruck krasser Diskriminierung der Minderheit Puppenspieler. Ob den Studenten ihre latente Feigenblattfunktion bewußt ist?
Längerer starker Beifall.
ACHTUNG! Andere Meinung? Her damit! Alles mit dem Grundgesetz Vereinbare wird veröffentlicht! (über Kontakt, s.o.)