Juli 2022
Sie hat in sieben meiner Regiearbeiten bzw. Stücken gespielt. Und geht jetzt in Rente. Nachdem sie ihr ganzes Puppenspielerleben in Gera verbracht hat – von unzähligen Gastspielen in nah, fern und s e h r fern abgesehen – und hier nicht nur Namenswechsel des „Puppentheaters Gera“, sondern weit Schlimmeres überlebt: Die immer weitere Verkleinerung des Puppenspielensembles, aber erfreulicherweise ebenso, wie die Truppe langsam d o c h in die auch überregional wahrgenommene Riege der Puppenspielwelt aufrückte. Wo es immer wieder „Intellektuellen-Terror“ gibt, der 2008 nicht einmal die Welt-Uraufführung der nachgelassenen Mendelssohn-Oper „Soldatenliebschaft“ mit Marionetten und Sängern wahrnehmen wollte. Es entsprach wieder mal nicht der Puppenspiel-Vermeidungs-Mode. Dafür lobte das berühmte FAZ-Feuilleton. Marcela spielte in meiner Inszenierung eine standesdünkelnde, andererseits anti-nationalistische Gräfin.
Und eine wunderbar deftige, sinnenfrohe, aber nicht billig mannstolle Marthe im nicht zuletzt wegen ihr höchst erfolgreichen „Faust“ 1998. Die Inszenierung fiel den kurzschlüssigen Entscheidungen des Oberspielleiters ebenso zum Opfer wie kurz danach meine leicht experimentelle Seifenoperette „Schwarze Seelen – Rote Sünden“, wo sie großartig eine Mutter Courage erfüllte – und sie gleichzeitig parodierte. Aber nur in zwei Vorstellungen. Sie nahm es gelassen, aber nicht gleichgültig.
Das waren alles Marionetten, die ja kaum von einem anderen Puppenspielensemble gepflegt werden. Wenn ich als Regisseur mehr oder weniger „erfolgreich gescheitert“ bin, dann auch deshalb, weil es zu wenige Marionettenspieler wie Marcella gibt. Die eine impulsive Komödiantin ist – aber auch meine Vorstellungen von puppenspielerischer Präzision erfüllt, ohne die sich Puppenspiel oft schnell abnutzt. Und die leider immer wieder als unkreativ diffamiert wird. Da hält sie stoisch dagegen. Engagierte sich aber auch mit den Kollegen für mich bei einem recht bösen Anschlag auf meinen Ruf.
Und obwohl Marcella quasi mit links Schauspielaufgaben erfüllte, wenns gebraucht wurde: Ins andere Metier zu wechseln, hatte sie nie den Drang. Der sonst das Puppenspiel leider immer wieder in Nachwuchs- und damit Existenzprobleme bringt. Marcella war und blieb Puppenspielerin, Punkt!
Im „roten“ Gera hatte die inzwischen verstaatlichte Puppenbühne Oesterreich-Ohnesorge zwar gewisse Vorkriegs-Elemente des damals neuen Puppenspiels retten können. Aber Marcela kam später in die DDR-Puppenspielszene, als darin eine nicht unbedingt kreative Mischung aus altbacken-deutschen Tendenzen und eher aufoktruierten osteuropäischen Klischees dominierte. Regisseurin Ingrid Fischer versuchte daraus das Beste zu machen, dauerbehindert von tiefsitzenden Vorstellungen von Puppenspiel als Billigtheater für Kinder, gegen die jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen mühsam erkämpft werden mußte und dem künstlerischen Tun viel Energie raubte. Und wo es neben „ideologischer Sauberkeit“ vor allem um möglichst viele „bespielte“ Kinder ging, nicht etwa um Qualität. Als ich erstmalig mit Marcella arbeitete, fand ich erstaunlich, wie wenig künstlerische Erstarrung das alles bei ihr hinterlassen hatte. Vielleicht, weil sie sich ja auch weltanschaulich mit einem Staat arrangieren mußte, dessen Dogmen sie nicht teilte. Auf jeden Fall erlebte ich sie offen, handwerklich überdurchschnittlich sicher und gestalterisch flexibel. Unter anderen Umständen und ohne derartigen ständigen Produktionsdruck wäre sie es wohl noch mehr gewesen. Aber sie hatte sich für Mann und Kinder entschieden, da kam ein Ortswechsel kaum infrage.
Wunderbar komisch auch ihre Ellermutter in meinem „Teufel mit den drei goldenen Haaren“. Mein „Schneewittchen“-Text mit ihr und kleinen Stockmarionetten schaffte 20, aber keine 30 Jahre wie später „Rumpelstilzchen“ – ohne mich, aber auch mit ihr. Diesen Stoff, wie auch „Lumpengesindel“, habe ich bei der DEFA verfilmt, mit Marionetten – und mit Marcella von Jan. Allein schon wegen ihr hatte es sich gelohnt, durchzusetzen, daß die Puppenspieler selber sprachen. Die Filme wurden inzwischen digitalisiert - es wird also nicht nur die Erinnerung bleiben. Die aber auf jeden Fall – an eine Spielerin, die mit Individualität und Kraft auch ein Solo stemmt, aber gern im Ensemble aufgeht. Als eine Erste unter Gleichen.
Puppentheater Gera ohne Marcella - geht das? Es muß wohl. Und Marcella ohne Puppenspiel? Das kann ich mir nicht vorstellen.