M wie Magdeburg – ein Puppentheater sucht sein Genre
Gastspiel des Puppentheaters Magdeburg im Berliner Ensemble mit „M – eine Stadt sucht einen Mörder“
Zuletzt Stille. Aus einer großen Kiste wird sehr langsam eine große Puppe mit Hut, ohne Gesicht geholt und für einen kurzen faszinierenden Moment von allen sieben Akteuren belebt. Ihr Körper hat Schubkästen, darin Puppen: Die toten Kinder.
Eins davon hatte am Anfang einen Auftritt – das winzige Wesen hängt an wenigen langen Fäden, sein Zittern signalisiert
Gastspiel des Puppentheaters Magdeburg im Berliner Ensemble mit „M – eine Stadt sucht einen Mörder“
6.11.17 Zuletzt Stille. Aus einer großen Kiste wird sehr langsam eine große Puppe mit Hut, ohne Gesicht geholt und für einen kurzen faszinierenden Moment von allen sieben Akteuren belebt. Ihr Körper hat Schubkästen, darin Puppen: Die toten Kinder.
Eins davon hatte am Anfang einen Auftritt – das winzige Wesen hängt an wenigen langen Fäden, sein Zittern signalisiert Verletzbarkeit, weitere Bewegungsmöglichkeiten sind nicht nötig.
Bürgermeister und Kommissar Lohmann sind Kaukautskys, also Puppen mit menschlichen Köpfen, die wild mit Armen und Beinen fuchteln.
Prägnant auch der schwebende Luftballonverkäufer, der an seinen Ballons hängt.
Aber das Stück ist lang und neben diesen Puppen-Momenten, aus denen man einen großartigen Trailer machen könnte, gibt es auch ganz anderes.
Das Eindrücklichste, was ich in mehreren Inszenierungen der Regisseurin und Autorin Roscha A. Säidow sah, war die Hauptfigur im fast textlosen „Cry Baby cry“ der Gruppe Retrofuturisten. Ein Schauspieler mit Vollmaske, die er durch subtiles aber deutliches Spiel belebte und die den Abend trug. Vergleichbares, also differenzierten Ausdruck mit Puppen, scheint sie inzwischen gar nicht mehr zu suchen. Rückkehr in die frühen 70er, als man Puppen fast nur mit flachem, klischeehaften Chargieren assoziierte?
Diese Inszenierung von Roscha A. Säidow nun – die auch Dialoge und teils beachtliche Liedertexte verfasste – versucht zunächst für alles visuelle Umsetzungen zu finden. So gibt es denn auch eine Menge zu sehen. Neben den 30 Puppen zeigt man viel Schauspiel, zeitweise auch überdrehte Comedy von der spielfreudigen Truppe. Oft sind die Puppen dann nur Beiwerk und so nebensächlich gespielt – die kleineren kann man ohnehin nicht recht erkennen, eine Art Dada-Handpuppen – daß man sich das Ganze auch von Schauspielern gespielt vorstellen kann, die eben auch mal bißchen die Puppen tanzen lassen.
Drei der sieben Akteure spielen beachtlich Instrumente, dazu wird viel und recht gut, aber nicht immer verständlich gesungen (übrigens auch nicht gesprochen) und das Stück wird zum Dreigroschenopernversuch. Durch etwas aufgesetzte Aktualismen verliert die eher in der Vergangenheit spielende Geschichte an Schärfe; auch wenn öfter das Wort „Terror“ fällt. Stück und Inszenierung bleiben etwas unentschlossen zwischen den Vorgaben des berühmten Films und eigenen Intentionen: Daß Kindermorde – und nicht etwa ein mächtiger, die Gesellschaft unterwandernder Dr. Mabuse – solche Angststimmung auslösen, wird nicht völlig glaubhaft, auch wenn der Mörder lange nicht personifiziert wird; eine interessante Lösung, durch die allerdings auch die Gegenüberstellung des seinen Trieben „schuldlos“ ausgelieferten Täters und den schnöde materialistischen Kriminellen – im Film der Höhepunkt – nicht gezeigt und nur erzählt wird. Und muß die Polizei kraß als unfähig karikiert werden? Kommissar Lohmann, bei Fritz Lang eine Hommage an Ernst Gennat, erfolgreich und ein großer Innovator der Kriminalistik, ist hier nur ein Hampelmann. Zu puppenlustig schienen mir auch die Unterweltler, bei Fritz Lang die mächtigen Ringvereine. Das Komische schlägt kaum durch harte Brüche ins Grauen um.
Als man schon Schluß und Lösung erwartet, halten noch Lieder, Wiederholungen und anderes den Fluß des Geschehens auf. Schade, das Haus hat ja anders als die meisten Puppentheater eine Dramaturgin.
Am Ende wird das vorher ruhig-interessierte, nun brav klatschende Publikum übertönt von einer kreischend jubelnden Gruppe junger Leute. Junge Puppenspielstudenten? Die wie alte Theaterchefs immer noch Puppenspiel am Besten finden, wenn es durch möglichst viel anderes angereichert bzw. ersetzt wird? Und folgt der letzten, kaum verebbten „No Puppenspiel!“-Welle nun schon wieder die nächste, wenn das Stück an mehreren großen Häusern und auf Festivals gastiert? Für mich waren einige einleuchtende Lösungen mit den variantenreichen Figuren Magdalena Roths das Bemerkenswerteste des Abends.
REGIE, TEXT, KOMPOSITION Roscha A. Säidow BÜHNE und AUSSTATTUNG Julia Plickat PUPPEN Magdalena Roth KOMPOSITION und MUSIKAL. LEITUNG Andres Böhmer DRAMATURGIE Katrin Gellrich
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Die Inszenierung erinnert an vielen Stellen an Brechtsches Theater. Sie zeigt eine künstlerische Qualität, die einen Vergleich mit namhaften Deutschen Bühnen nicht scheuen muss. Arbeiten am Berliner Maxim-Gorki-Theater oder am Schauspiel Frankfurt haben Säidow offensichtlich geprägt. Der Regisseurin ist in Magdeburg ein Meisterwerk des Figurentheaters gelungen, das vor allem deshalb im Ergebnis strahlt, weil das gesamte Ensemble von den Spielern, über die Dramaturgie von Katrin Gellrich sowie dem Einfallsreichtum der Puppen aus den Ideen einer Magdalena Roth zu einem Gesamtwerk verschmelzen konnten. Das junge Ensemble der Magdeburger Produktion könnte ein Garant für die Zukunft eines großartigen Figurentheaters sein. Mit der abgelieferten Leistung in
„M – eine Stadt sucht einen Mörder“ hat die Truppe einen Maßstab gesetzt, den zu übertreffen eine schwere Herausforderung ist.
Thomas Wischnewski in Magdeburg Kompakt
Die düstere Atmosphäre der Krimihandlung stellt sich auf der Bühne jedoch nur schwer ein. Auch das Katz- und Maus-Spiel wird nur angedeutet. Umso stärker ist die Magdeburger Inszenierung in ihren komischen und satirischen Momenten. ... Inszenierung setzt vor allem auf die eigens komponierte, angejazzte Musik, die 20er Jahre-Flair verbreitet, und auf das Zusammenspiel der stark geschminkten Schauspielerinnen und Schauspieler mit den Puppen (von der kleinen Handpuppe bis zur lebensgroßen Imitation). Das Kulturblog