Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

OBJEKTFREI UND TROTZDEM...

Das 37. Puppenspielfest Hohnstein

 

26.5.2025   In Dräsdn und Umfeld setzt man der nostalgischen Vorliebe gerne mal was knallhart Modernes entgegen. Was hier ebenso gern etwas aufgesetzt wirkt. Also ganz weglassen, kurz: Kein Objekttheater, keine Materialperformance?


Ja, sagte das 37. Puppenspielfest Hohnstein mit 26 Puppen-Stücken und wirkte alles andere als eintönig oder staubig. Obwohl oder weil diesmal nur zwei Nachwuchskünstler den Hohnsteiner Kasper spielten? Nun, der hat hier ansonsten - wie kurzzeitig aber enorm nachwirkend vor dem Krieg - längst wieder eine Heimat, einschließlich aller politischen und ästhetischen Ambivalenz, da gehts auch mal fast ohne.
(Kaspers quasi radikaler Ausschluß beim einzigen staatlichen Hauptstadt-Puppentheater SCHAUBUDE, sogar als die UNESCO ihn 2021 zum nationalen Kulturerbe erklärte, wirkt dagegen inzwischen wie Fortsetzung einer in Teilen totalitären Theaterpolitik, die nach der Wende die Wiedervereinigungs-Klausel von der DDR-Kultur, die keinen Schaden nehmen sollte, nicht für alle Genres gelten ließ).

Ich, auch selber agierend, s.u. schaffte fünf Stücke anzusehen:


Jana Sonnenberg mit "Die Prinzessin auf der Erbse": Die prägnanten Märchen sind oft zu kurz für die Bühne, so auch dieses, und die Dazu-Erfindungen erscheinen nicht immer organisch. Hier dagegen schlüssig. Die Prinzessin zeigt ihre Empfindsamkeit - zentrales Element bei Andersen - ganz unzickig bei einem verletzten Vogel, ganz nebenbei, aber es genügt. Auch andere Motive der Geschichte tauchen in überraschend anderer Form auf - ohne aufzutrumpfen.
Mit großer Leichtigkeit werden die Erwachsenen unterhalten, ohne daß das Feuer der Geschichte für die Kinder ausgeht.
Die Puppenspielerin kommt einerseits spürbar vom Schauspiel, überzeugt aber auch mit der Animation der Tischpuppen. Und mit der tatsächlichen Beziehung zwischen Figuren und Spielerin, hier als Mädchen für alles der Hofgesellschaft, die sie in doppelter Hinsicht bedient. Das Problem des von der Puppe ablenkenden Spielers gibt es hier nicht, b e i d e  sind präsent, weil ständig wechselnd. Ein so harmonisches wie funktionales Bühnenbild mit schnellen Ortswechseln - "Klappstadt" ist tatsächlich hoch und runter zu klappen - und entspr. Puppen, alles von der Spielerin ohne jeden Selbstgebastelt-Touch, ergänzen bestens die Arbeit von Musiker (!!!) Antonio Kühn als Regisseur, fern der oft zu sehenden allzu nachsichtigen Regie im Puppentheater

Ein schönes kleines Zweipersonenstück - Puppenspieler gelten zu zweit schon als auffällig - war "Das schönste Brot der Welt" um unser aller Grundnahrungsmittel, nicht verquält hintenrum didaktisch, sondern sympathisch direkt. Mit Brotbüchse usw. als Handelnden, trotzdem kaum nüchternes Objekttheater. Dafür gespickt mit einigen Liedern, zur Gitarre Erik Stenzels (ruhig etwas mehr einbeziehen) allerbestens gesungen, ohne daß Puppenspieler Roland Klappstein als (studierter) Opernsänger auffiel. Regie Luc Hutter.
  
Grandioser Hauptdarsteller des Festes ist die große verschachtelte Mittelalterburg Hohnstein. Aber weder die bieder-billigen Souvenir-Lanzen an den Wänden noch die Reichsparteitags- und FDJ-Elemente aus 30ern und 50ern - was zur Geschichte gehört wie die ausgestellten original Hohnsteiner Handpuppen - dämpfen im Mindesten die gelöste Athmosphäre. Man sitzt im Burghof, lauscht der nostalgisch swingenden Stimmunsmusik der anderen Art von Krambambuli und schaut übers Land - bis zur nächsten Vorstellung. Ein bißchen Ernüchterung muß aber wohl sein- nach Schluß der letzten Abendvorstellung ist auch mit Getränken Schluß. Das wirkt plötzlich wie "Ruhe und Marsch ins Bett!"
Das Fest kommt mit erstaunlich wenig sichtbarem Personal aus. Einlasser lassen auch mal keine zu kleinen Kinder rein - Aufstände empörter Eltern "Unser Kind versteht das schon!" bemerkte ich nicht. Wir sind nicht in Preußen.
Aber es gab auch kein festivaltypisches Mittendrin-Rausrennen, weil gleich die nächste, vielleicht interessantere Vorstellung beginnt und der Kunde König ist.

 

Viel erwartet und - zu Recht - entsprechend bejubelt das Karlsruher Theater Fiesemadände, schon im Titel von radikaler Wurschtigkeit. Wo trotzdem stimmt, worauf es ankommt, z.B. die verschiedenen Dialekte von Carsten Dittrich und des Multiinstrumentalisten Jan Mixsa, mit u.a. einem wunderbaren Bandoneon-Solo im alten Volksstück "Der Brandner Kasper und das ewig Leben". In offener extrem-entspannter wie auf andere Art stimmig-genauer Spielweise lenken die Spieler, teils selbst als skurrile Nebenfiguren, kaum von den Klappmaulpuppen ab, die es bei den Hauptfiguren im Volksstück nochmal in Übergröße gibt. Der skurrile Tod ist keineswegs "ganz anders", sondern sichtbare Hommage an Bully Herbig im Film. Hier riß die brachiale Spielfreude zu brachialer Überlänge hin. In Fiesemadändes ebenso brachialer "Schatzinsel" - ab für Puppenspiel riskanten 6 Jahren, trotzdem krachend voll - war nach der angegebenen Zeit völlig unerwartet Schluß.

 

Am Eröffnungsabend gab es bei "Geschlossene Gesellschaft" mit 3 Ernst-Busch-Absolventinnen sowie aufwändiger Extra-Ton- und Videotechnik und wie man hört, einigem Hin und Her dazu denn doch kein dem großen (möglicherweise falschen) Raum angemessenes Ergebnis, man sah von weiter hinten kaum, ob die Tischpüppchen den Text von Jean Paul Sartres Schlüsselwerk des Existenzialismus trugen. Und wie gerade Erzkomödiant Hans Jochen Menzel als Regisseur mit der aktionsfrei-geballten Tristesse von 1944 umgeht. 
Ich enthalte mich einer eigentlichen Wertung, nicht nur nachdem ich zwei völlig gegensätzliche Meinungen zu "dieses Stück heute" gehört hatte: Der Text von damals hat mir nichts mehr zu sagen einer- und andererseits: Diese Ich-Orientierung der Stückfiguren und ihre egomanische Vereinnahmung des jeweils anderen entspricht genau heutiger Mentalität.
Obwohl es sie nicht gab, die anderswo Festival-übliche Studenten-Produktion unter Exclusivbedingungen - konkurrenzverzerrend gegenüber denen der meist armen Freien Szene - wehte davon also doch etwas herein. 
Indirekt aber auch von den prekären Verhältnissen bei meinem Doppel-Faust: Nach dem geschauspielten alten Puppen-Volksstück der zwei Schauspieler gibt es die Goethe-Variante mit 6 Marionettenspielern von 1998 heute nur noch als Video - Schaubude u.a. machens anders unmöglich. Und dem, einfach mit Laptop und Beamer abgespielt, versagte dann auch noch der Ton. 
Ich hatte in Hohnstein 2023 mit "Kasparett - Deutschland ein Kaspermärchen" als Solist Bühnenabschied genommen, jetzt also als Regisseur mit DR. FAUST sowie mit meiner 50jährigen "Entchen"-Solo-Version für Kinder - konnte mich also von sehr verschiedenen Seiten zeigen - mit beglückenden Reaktionen. Hohnstein machts möglich!

 

PS 1: Nicht lesen, wer wie ich Deprimierendes aus der Puppenszene nicht mehr lesen will:

Soll ich DR FAUST (Waschinsky nur Regie, 2 Spieler & 1 Video, fast keine Ausstattung) Festivals usw. anbieten? Ich hatte 2023 "Kasparett" als mein Spieler-Bühnenabschied nur wenigen Festivals o. Spielstätten angeboten, keine Lust auf "Abschiedstour", noch weniger reagierten. Eins schrieb noch Anfang 2025 "... habe ich mich mit Ihrer Arbeit und Ihrer Kunst beschäftigt und vieles in seiner Einzigartigkeit der Mittel und der Kraft und Präzession in ihrem Spiel sehr bewundert." Danach Schweigen und keine Einladung. Außer dem Kaspersymposium 2022 in Bad Liebenwerda war Hohnstein das einzige Festival, das "Kasparett - Deutschland ein Kaspermärchen" eingeladen hat.

 

PS 2: Ich veröffentliche hier alles mit dem Grundgesetz vereinbare, also schreibt (Kontakt s. oben)

 

 

FÜHRERBUNKER, EDEL-MUPPETS, STAATSTHEATER 

 

(28.5. 2025) Eigentlich in Hohnstein theaterabgefüllt, war ich heute wieder, Puppentheater im DEUTSCHEN THEATER, Chefdramaturgin und Regisseur/Autor hatten mich eingeladen. Die Ehre! 
Nein, das ist nicht mehr meine Welt, auch wenn das Publikum eher normal wirkte. Aber würden die auch sonst ins Puppentheater gehen?

Es gab "Schickelgruber", also Hitler, von Nevil Tranter. Hat er selbst lange gespielt, jetzt spielen es Manuela Linshalm - für mich eine echte Entdeckung - und Nikolaus Habjan. Das Stück wirkt zumindest gegen Ende hin eher unentschlossen und mir fehlte etwas ein Jetzt-Bezug, aber es gibt grandisose spielerische Momente, z.B. ein irrsinniges Ja - Nein - Duett Hitler-Goebbels. Und es sind wie so oft die kleinen gestischen Details, die faszinieren. Schön jedenfalls, daß vom zurückgetretenen Nevil Tranter etwas Prägnantes bleibt.
Was mich aber letztlich auch bewegte: Ist diese unter Exclusiv-Bedingungen produzierte Inszenierung an einem Schauspielhaus nicht letztlich eine Ersatzhandlung für das, was dem normalen Berliner Puppenspiel vorenthalten wird? Wieso darf ein kaum ausgewiesener Mann am einzigen Staatlichen Berliner Puppentheater SCHAUBUDE über 10 Jahre lang Puppenspiel durch dessen Randbereiche ersetzen?