Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

MARIONETTES AU GRAND NATION (Puppen an der Pariser Oper und an der französ. Superpuppenschule)

MARIONETTES AU GRAND NATION

 

Ägyptisch - kryptisches an der Opera Paris, Laienspiel an der französischen Super-Puppenschule

 

Als ich 1981 an der Berliner Staatsoper in Haydns "Philemon und Baucis" die Sänger hinter einen Gazevorhang stellte, damit sie nicht von den Marionetten ablenkten, gab es Aufstände. Und da ich außerdem im anderen Kurzstück des Abends "Das abgebrannte Haus" die sozialen Differenzen zwischen Sängern und Puppenspielern als Konfliktgrund für besagten Hausbrand nahm und damit ein internes Problem veröffentlicht hatte, war der Abend schon vor der Premiere durchgefallen. Jedenfalls hinter den Opernkulissen: Daran rettete auch später der relative Erfolg bei Publikum und Presse nichts. Letztere fragte zwar nach der Relevanz des sozialen Sänger-Puppenspieler-Konflikts - in der DDR. Aber die verdeckten Sänger, intern als deren Demütigung mißverstanden, empfanden von außen alle als angemessene Lösung. 

Die hätte ich mir 2020 an der Pariser Oper auch gewünscht. Hier wurde die "Aida"-Titelfigur, die gefangene äthiopische Prinzessin, ebenso ihr Vater von "marionnettes" dargestellt - der Begriff wurde bei der arte-Übertragung gedankenlos mit "Marionetten" übersetzt, meint aber ALLE Theaterpuppen. Und so wartete mancher Deutsche wohl vergeblich auf Puppen an Fäden. Und bekam nur die üblichen offen gespielten Figuren.
Zusammen mit anderen Problemen entstand ein Durcheinander von Bedeutungsebenen, das ich hier nur andeuten will: Den Krieg in biblischer Zeit zwischen Großmacht Ägypten und dem unterjochten Äthiopien übersetzte die Regie von Lotte de Beer in den Kolonialismus der "Aida"-Entstehungszeit Ende des 19. Jh.. Und so stand Ägypten für die Kolonialmacht Frankreich, Äthiopien für das kolonisierte Afrika - mit ebenfalls Ägypten, dessen ausgegrabene und geraubte Schätze in einer Szene im Pariser Museum gezeigt werden...  Gezeigt werden sollte also in dem Stück auch seine Geschichte. Alles ein bißchen viel für eine tragische Lovestory, von Verdis Librettisten in etwas Historienpomp gebettet. 

Erst recht verwirrend nun die beiden "marionnettes": Gemeint sind die beiden offensichtlich als kolonial geraubte Statuen, der Museumsvitrine entstiegen - ihre optische Gestaltung durch die afrikanische Künstlerin Virginia Chihota zielte wohl auf Authentisches. In der Umsetzung durch Mervyn Millar entstand aber einfach eine nach Styropor riechende Bühnenrequisite. Jonas Kaufmann als Radames, der Aida liebt, steckt wie die anderen im Belle-epoque-Kostüm; in der ziemlich naturalistischen Ausstattung bleiben die Puppen Fremdkörper, nicht nur im konzeptionellen Sinn, als hätte man sie nachträglich eingefügt. Nicht einmal mit dem Licht agiert man entsprechend.
Vor allem: Neben den drei bzw. zwei schwarzgewandeten Spielern der gut, vielleicht etwas zu dezent animierten lebensgroßen Figuren stehen dann auch noch deren jeweilige Sänger. Quasi notgedrungen. Die großartige Sopranistin Sondra Radvanovski folgt diszipliniert und engagiert den Regievorgaben, zeigt sich nie als "Star" - und steht als Person irgendwie immer im Weg. Geht also Aida nur einsam über die Bühne, ist das eine Völkerwanderung von fünf Gestalten - auffälliger als Sängerin oder Puppe ist die Spielerin der Füße - sie kriecht auf allen vieren. Sicher wird das die Dramaturgie des Hauses als weitere Metapher für die afrikanische Sklaverei deuten - ansonsten bekamen die überpräsenten Puppenspieler nie eine andere als eine technische Bedeutung. Und zwar singen und spielen die Sänger-Partner brav und konzeptionstreu die Puppe an, aber man guckt wieder mal fast nur auf die Sängerin - als Zuschauer. Im Unterschied zu ihrem Liebhaber, der die lebendige Frau permanent ignoriert, ohne daß das  von der Regie jemals aufgefangen wurde, z.B. als realitätsfremde Vergötterung des Abbildes der Geliebten - an der realen Frau vorbei.

Rezension Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/giuseppe-verdis-aida-in-paris-pomp-und-kammerspiel.1993.de.html?dram:article_id=492965

Aufführung (Arte) https://www.arte.tv/de/videos/100855-001-A/giuseppe-verdi-aida/

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An der französisch/internationalen ESNAM, Frankreich, der ranghöchsten Puppenspielausbildungsstätte der EU, hatte ich um ca. 2000 für drei Jahre die Gelegenheit, das was ich für die positive Substanz der Berliner Ernst-Busch-Puppenspielausbildung halte, also auch meinen Anteil, unter ausländischen Bedingungen anzuwenden. Etwas anders als von mir erwartet, nahmen die französisch/internationalen Studenten meine "deutsche Gründlichkeit" im Bühnenhandwerk als Basis für Kreativität bestens an. Und das Endergebnis, die Diplomaufführung, wurde von der Presse nicht nur gelobt, sondern man bestätigte mir, ich hätte "den Finger auf die Wunde gelegt" und die etwas realitätsfernen Studenten wieder ihrem Umgfeld näher gebracht. Mit (Puppen-) Theater, nicht Konzeptgeschwurbel.

Das war vor 20 Jahren. Nun zeigten heutige ESNAM-Studenten ihre Ergebnisse. Meine interne Rezension ist leider nicht vereinbar mit meinem Credo, solange ich noch selbst künstlerisch tätig bin, nur Bewertungen zu veröffentlichen, die überwiegend positiv sind. Deshalb nur ein Satz daraus: "Die immer wieder zitierten vielfältigen Möglichkeiten des Genres scheinen weitgehend unbekannt und werden geradezu vermieden".
In diesem Sinne nenne ich von den 14 Studenten acht Namen nicht. Beispiele: https://marionnette.com/web-tv/androuchka-solo-d-enzo-dorr   https://marionnette.com/web-tv/wolle-die-wandlung-solo-de-marie-herfeld

 

Achtbare Leistungen zeigten:  Adrià Girona, Marina Simonova, Raquel Mutzenberg-Andrade, Anaïs Aubry, Manon Gautier. Beispiel: https://marionnette.com/web-tv/pourtant-elle-creuse-encore-solo-de-manon-gautier

 

Rundum positiv nenne ich ausschließlich:
"Morsure" (Biß) von Coralie Brugier. https://marionnette.com/web-tv/morsure-solo-de-coralie-brugier
Sie sitzt auf dem Boden, umarmt von einem großen Bären. Der umarmt sie, streichelt, vergewaltigt, beißt sie. Am Ende ist sie selbst ein Bär. Hat einen blutigen Mund - wer hat hier wen gefressen? Metapher und Ambivalenz funktionieren, weil zuvor die Details einer - z.B. erotischen - Beziehung zwischen Intimität und Aggression konkret ausgespielt werden.
Die Spannung entsteht durch den Rhythmus und großen Mut zu Pausen, in denen manchmal Dunkel herrscht. Dann greift wieder der Bär an. Liebe? Animalische Freßlust? Das nie so ganz Greifbare des Tieres wird dadurch erzeugt, daß die Spielerin immer wieder in Bären-Kopf und - Glieder verschiedene Hände und Beine stecken hat, so ist der Eindruck der Körperlichkeit immer wieder ein anderer... Hier wurde etwas geschafft, was in anderen Kurzstücken teilweise versucht wurde, aber scheiterte. Ohne daß es klassisches Puppentheater war, war das Prinzip des Puppentheaters im besten Sinne erfüllt.