Rezensenten sollten nicht in der Theaterarbeit involviert sein. Auf dem kleinen Gebiet des Puppentheaters ist diese Trennung nicht immer einzuhalten, es gibt zu wenige, die schreiben.
Ich veröffentliche meine Rezensionen nicht, wenn sie überwiegend schlecht sind, jedenfalls solange ich noch selber als Künstler aktiv bin. In solchem Fall schicke ich sie nur an die besprochenen Künstler bzw. das Theater. (Hier im PUPPET-REPORT in drei Fällen).
Derzeit streamt das angesagte Puppentheater Halle viele Stücke. Einige habe ich schon verpaßt, ich wußte es nicht, aber jetzt gehts los...
THE BIG HALLE-PUPPET-REPORT
Frühjahr 2021
Teil 1
" Die Goldene Gans"
von Peter Brasch nach Grimm, Regie Ines Heinrich-Frank
gab es im Stream zeitgleich mit dem Struwwel-Stück. Mit den - soweit ich sehe - immer parallel gestreamten Kinderstücken zeigt sich: Es ist eine Mär, daß das Puppentheater Halle nur noch für Erwachsene arbeitet.
(Aber diese Mär, daß ein Puppentheater OHNE Kinderstücke auskommt, scheint insgesamt dem Ruf des Puppengenres – von den kulturpolitischen Reaktionären Deutschlands vielerorts längst wieder zur billigen Kinderunterhaltung à la 19. Jh. degradiert – eher zu nützen. Richtige Kunst macht man für Erwachsene!)
Diese Inszenierung von Ines Heinrich-Frank, gestandene Protagonistin des halleschen Ensembles, ist eine rundum sympathische Sache, rhythmisch ausgewogen und voller kleiner Einfälle, die aber den selbstgestellten Rahmen niemals sprengen, sondern seine Möglichkeiten bescheiden-intelligent ausschöpfen.
An den beiden Enden eines kurbelbedienten Laufbandes sitzen die beiden Akteure – sie als Bürohengste einzuführen, fand ich allerdings unnötig – und setzen auf selbiges kleine und kleinste Figürchen (gestaltet von wem?) und kleine Häuser, Hügel, Schlösser aus unbemaltem Sperrholz. Dabei streiten sie über die richtige Geschichte.
Die beiden Spieler animieren die Figürchen mit angemessen “verstellten” Stimmen, denn die sind natürlich nicht wirklich zu beleben, sondern nur hin und herzuschieben und so ist alles nah am Objekttheater und seiner letztlichen Beschränktheit. Über die Dreiviertelstunde des Spiels aber trägt das durchaus, weil es immer wieder etwas Neues zu sehen gibt.
Ich hätte das Stück gerne mit Kinderpublikum gesehen statt mit überwiegend Begeisterungs-entschlossenen Erwachsenen. Ich erinnere mich auch an ein ähnliches, genau genommen puppenspielverweigerndes Stück des Hauses vor längerer Zeit. Aber als Variante ist dieses eher “Schauspieler schieben Spielzeug herum”-Theater sicher einfach nur EINE Farbe neben Puppentheater im engeren Sinne, das es ja wohl an diesem Hause reichlich gibt,.
Es ist für sich gesehen tatsächlich eine schöne Sache.
SCHÖNE REISE von Ania Michaelis
Seit ca. einem Vierteljahrhundert wird das “Baby-Theater” protegiert. Ich habe mittlerweile eine ganze Reihe von Aufführungen gesehen und sage jetzt ganz offen... die janze Richtung passt mir nich. Neben zu wenigen überzeugenden Ergebnissen sowie zu wenigen Kleinkindern in den von mir gesehenen Vorstellungen, wodurch Altersgerechtheit kaum ablesbar war, hat das auch mit dem “Personal” zu tun. Das, gut vernetzt, offensichtlich permanent am Positiv-Image der “Richtung” bastelt. Ist es nur MEIN Eindruck, dass es in der Kindertheaterwelt schwer hat, wer kritische, gar grundsätzliche Fragen an das “Theater von Anfang an” stellt?
War die Entstehung dieser Richtung vielleicht nur eine Reaktion auf die Tatsache eines immer geringeren Theaterpublikums? Inzwischen sind ja vielerorts schon Stücke ab 6 Jahren ein (Verkaufs-)Risiko.
Ja, ich nehme zur Kenntnis, dass bei der gesehenen Aufführung SCHÖNE REISE neben Älteren und Erwachsenen auch einige Zweijährige zuschauten und es wenige Anzeichen für deren nachlassendes Interesse gab. Bei 30 Minuten Spieldauer bedeutet das schon etwas. Es spricht für die jahrelange Praxis von Ania Michaelis und entsprechende Erfahrung.
Aber:
Sicher haben Zwei- bis Dreij'hrige noch keine Vorstellung von einer Geschichte bzw. einer zusammenhängenden Handlung. Aber bestimmt auch nicht von einer “Reise”. Warum dann diese inhaltliche Vorgabe? Es gab visuelle Momente, sicher auch für die ganz Kleinen reizvoll - es ging aber auch eine Weile um einen Brief, also etwas für Babys völlig Fremdes. Es gab Formulierungen wie “zu wünschen übrig lassen” und “Tage voller zitronenfarbiger Helligkeit”. Na das sind zweifelsohne alles äusserst wichtige Dinge. die Babys brennend interessieren. Außer meinen Patenenkel, aber der ist wahrscheinlich einfach etwas zurückgeblieben.
Zum Genre: “Genre-Offenheit” war vor Jahrzehnten sicher ein Zeichen für Überwindung von damals starren Grenzen. Aber ist sie heute noch unbedingt durchweg positiv zu bewerten? Oder ist Ania Michaelis wie jene Tänzerin und Sängerin, der in der alten Theateranekdote bescheinigt wurde: “Für eine Tänzerin singt sie nicht schlecht und für eine Sängerin tanzt sie passabel” ?
Zurück zum Stück: Ich habe das auch ganz anders erlebt, aber trotz aller Einwände schien man hier den Kleinen zwischen den überwiegend Größeren und Großen zumindest das Theater als einen irgendwie interessanten Ort nahezubringen. “Nützt es nicht, so schadet es doch auch nicht”, heißt es in Kleists Satire vom “Allerneuesten Erziehungsplan”.
Sophiechen und der Riese
ist eine märchenhafte Geschichte von Roald Dahl. Deren Horrorzüge sind hier kindgerecht gemildert, allerdings auch ein wenig die phantastischen Elemente. Sophiechens kaltes, ödes Zuhause in einem Waisenhaus vergangener Zeiten wurde leider nur gestreift, was die Begegnung mit einigen bösen Riesen, aber auch dem einen guten darunter ja zur vielleicht nur geträumten Alternative macht: Da draußen gibts was noch Schlechteres, aber eben auch das viel Bessere: Den riesigen Mann mit dem großen Herzen. Ich denke, etwas mehr sozial-historische Konkretheit, andererseits Gut-Böse-Ambivalenz im Phantastischen kann man Kindern ab 7 Jahren zutrauen.
Auch der Aufhänger, drei Gangster überfallen ein Mittelding aus Büro und Lagerraum und beginnen mit den herumliegenden Puppen zu spielen, war nicht unbedingt zwingend. Als die dabei getragenen Sturmmasken dann als Verdeckung der beim Puppenspiel manchmal störenden Spielergesichter hätten dienen können... wurden sie abgenommen. Und im Stückverlauf spielten die drei Rahmenhandlungs-Typen eigentlich nur noch die Rolle der beim offenen Spiel notgedrungen sichtbaren Puppenspieler, abgesehen von kurzen Auftritten als Clownsmasken-getarnte andere Gangster statt der bösen Riesen.
Die insgesamt trotzdem gediegene Inszenierung von Ralf Meyer blieb aber kein Konzept-Konstrukt. Glücklicherweise vor überwiegend “altersgerechten” Kinderzuschauern aufgezeichnet, lebte sie von ihren drei überzeugenden Spielern – und spätestens hier knirsche ich über den Apparat des Halleschen Puppentheaters. Es waren einfach ausser den Autoren und Regisseuren keine Beteiligten-Namen zu erfahren. In diesem Fall kenne ich den älteren Kollegen, auch der jüngere ist mir nicht ganz unbekannt - aber wer die absolut gleichwertige Spielerin ist, bleibt gut gehütetes Geheimnis. (Wie übrigens auch das Premierenjahr, nicht nur hier.) Und da ich sie nicht nennen kann, nenne ich auch die beiden Herren nicht. Sie spielte über weite Strecken nur ganz brav die zweite Hand des menschengrossen Riesen, und zwar so, dass diese sich in den höchst prägnanten Bewegungskanon dieser Figur organisch einfügte, gab dann aber hinreissend die Queen-Puppe.
Das Spiel der Puppen war weit weg vom heute wieder so oft als Puppenspiel zu sehenden “Sprechen plus irgendwie begabt mit der Puppe wackeln”. Nein, hier stimmten die Details und alles wirkte solide gearbeitet – als Basis für wirklich komödiantisches Spiel.
Schwachpunkt des Ganzen: Sophiechen als kleines Massenprodukt-Püppchen aus dem Spielzeugladen. Sicher konzeptuell begründet, hatte der Kollege Spieler bei allem Bemühen wenig Chancen, fast immer war die grosse Riesenpuppe zehnmal präsenter, nicht nur, weil hier ein Meister am Werk war und seinem Ruf alle Ehre machte. Außerhalb seiner Solos war er aber absolut Teamplayer.
Ja, die drei harmonierten bestens.
Fortsetzung folgt