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„Der Engel von Bremen“
(Mai 2022) Zeigte Faßbinders Stück und Film „Bremer Freiheit“ 1971 vor allem Gesche Gottfrieds Emanzipationsdrang, der sie zur Mörderin machte, setzen 40 Jahre später Autor Carl Ceiss und Akteurin Nadja Saleh andere Akzente. Saleh wiederum verknappte etwas den Autorentext, was die Motive der Serienmörderin, an der 1831 die letzte öffentliche Hinrichtung exekutiert wurde, noch mehrdeutiger machte – und damit einen schillernden Charakter entstehen ließ. Auch, warum Gesche „Engel von Bremen“ genannt wurde – keineswegs ironisch, sie kümmerte sich aufopferungsvoll um Bedürftige – deutete sich nur an. Aber: Eine gewisse Uneindeutigkeit der Aufführung schien mir letztlich richtig, nicht nur wegen der historischen Sachlage.
Zunächst führt Saleh die lebensgroße Puppe vor sich, spielt später unvermittelt selbst weiter, wechselt zeitweise öfter zwischen sich und der Figur, so daß Gesche im Zwiegespräch mit sich selbst erscheint.
Dann wird die Puppe, die nur eine Mütze aufbekommt, zur widersprechenden Mutter. Und langsam versteht man, hier reflektieren sich der gebrochene Charakter von Gesche, möglicherweise einer Psychopathin, deren wahre Mordgründe damals wie heute rätselhaft erscheinen und nur sehr bedingt aus ihren meist gar nicht so schlechten Umständen von Familie und Ehe erklärbar sind, also ganz anders als bei Faßbinder. So wie heutige Serienmörder und Amokläufer ja keineswegs immer die sprichwörtliche „schwere Kindheit“ hatten.
Noch einmal eine andere Perspektive, die schlicht vereinfachende des Volkes, bringt Gesches Geschichte als Moritat, von Nadja Saleh ins Stück eingefügt.
Es gibt immer wieder kleine interessante Details – die man manchmal gerne eine Spur ausführlicher wahrnehmen möchte – und einer der Dialoge wird gar unvermittelt mit Haushaltsrequisiten gespielt, die sie nicht wie übliches Objekttheater herumschiebt, sondern wie Handpuppen über den Kopf hält. Dieser Wechsel der Mittel ist als Aufhebung der psychologischen Logik zu deuten und könnte als Absage an entsprechende Erwartungen noch frecher behauptet sein. Manche Kleinigkeit ist aber auch durch Freie-Szene-typische Unterbrechungen der Probenkontinuität verschuldet und wird sich mit Sicherheit einspielen – schon deshalb wünsche ich viele Vorstellungen bei vielen interessierten Veranstaltern.
Nadja Saleh behält Spannung, dabei Nuanciertheit im insgesamt deutlichen und kräftigen Spiel bis zum Schluß bei und tritt in den Puppenspielsequenzen meist angenehm hinter der Figur zurück.
Zu sehen ist eine Ein-Frau-Aufführung, die statt der im Puppenspiel überhandnehmenden „Stückentwicklungen auf der Probe“ wieder einen Autor präsentiert, die den Stoff auslotet, aber auch nicht mit Bedeutung überlastet, die bestens gespielt wird und die deshalb höchst sehenswert ist.
(Nach einer Vorstellung im Pankower Zimmer 16 ist eine weitere im DNT Fritzenhagen geplant)