KASPER IM KULTUR-KINO
Das beliebteste Märchen for ever gibts derzeit im - laut Werbung - „Kulturkino UNION“. Daß das UNION ein solches ist, wird wohl niemand bestreiten, wegen der besonderen Filme. Der neue, unabhängig (!) produzierte „Im HAIssen Schlössel“-Film, an dem das UNION zunächst beteiligt war, läuft dort allerdings vorerst NICHT. Zuviel Puppenspiel?
Dafür live Rotkäppchen mit Hohnsteiner Kasperpuppen - ebenfalls laut Werbung. Damit hat es eine recht spezielle Bewandtnis: „Die Hohnsteiner“ waren die einflußreichste deutsche Puppenspielformation des frühen 20. Jh., zeitweise in Hohnstein im Erzgebirge ansässig, daher der Name, nach dem Krieg gleich in den Westen gegangen und deshalb seit langem eher dort bekannt. Für Ostler außerhalb von Hohnstein und Puppenspielszene dürfte der Name kaum noch etwas sagen, im Westen ist er ein Markenzeichen. Leider ein ungeschütztes: Das meiste darunter Verkaufte hat mit den Hohnsteinern nur noch wenig zu zu tun, die Puppen, bis heute als eine Art Original-Kopien in Hohnstein geschnitzt, kann man einfach kaufen. Stilistisch sind Puppen und Formation nicht eindeutig einzuordnen, vielleicht als „Heimatstil“, also schon zu ihrer Zeit eher nostalgisch.
In meinem „Kasparett“, der Geschichtsrevue zum Kasper, gehe ich darauf ein. Wikipedia spricht von „mangelnder Distanz“ zum 3. Reich - Nazis waren sie sicher nicht, ließen sich aber für Propaganda benutzen. Wie viele andere.
Daß man in der DDR für alles einen Schein haben mußte, fand ich unsinnig - auch wenn ich selbst einen hatte als studierter Puppenspieler, quasi „dipl. pup.“ Die westliche Freiheit für fast alles hat auch Schattenseiten, das dürfte inzwischen jeder wissen. Und so freue ich mich natürlich nicht, wenn kommerzielle West-Puppenbühnen mit „Kasperle im Märchenland“ und öfter bezeugten Qualitätsmängeln, aber vielen bunten Plakaten auf der Bölsche (Berlin bei Friedrichshagen) volles Haus haben und nebenbei das Ansehen des Puppengenres weiter auf „Kindertrallala“ drücken.. Oder warum interessierten sich so wenige für das vielleicht beste Berliner Marionettentheater, das bei mir zuletzt „Dornröschen“ ausschließlich vor ein paar interessierten Erwachsenen spielte. Inzwischen ist in „Im HAIssen Schlössel“ neben Filmstars auch Puppenspiel zu sehen, vielleicht bringts was.
Wie war „Rotkäppchen“ denn nun? Erst einmal: Voll. Und: Diese Puppenspieler-Kollegen sind mir im Prinzip keineswegs unsympathisch.
Die Geschichte wird mit größtmöglicher Biederkeit erzählt, aber die teils recht ältlichen Moralvorstellungen werden von Muttis und den wenigen Vatis hingenommen. Die Puppenführung ist auffällig sauber, ebenso wirkt es gut organisiert, wenn mehr als zwei Figuren agieren, was bei nur zwei Puppenspielern nicht selbstverständlich ist; die weibliche Spielerin ist sprachlich flexibel, der Mann weniger – ihm unterlaufen auch verbale Schnitzer. Der Wolf ist wie die anderen eine klassische Hand- und keine Klappmaulpuppe und seine Menschenfressereien – hier verläßt die Aufführung mal ihre sonstige Bravheit – sind eher komisch als grausam, so daß kein Kind weint. Märchen müssen nunmal angereichert werden, sonst sind sie zu kurz, so treten ein Häschen und ein Igel auf, die kaum ins Geschehen integriert werden. Alles wirkt wie eine alte Spielfassung, der nicht allzu geschickt anderes zugefügt wurde. Das betrifft auch den Kasper, der allerdings tut, was man erwartet: Das Publikum einbeziehen.
Kulturhistorisch war für mich durchaus interessant, was sich hier in den Tiefen der alten Bundesrepublik erhalten hat – aber so etwas dürfte es auch im Osten geben. Schädlich ist es sicher nicht. Aber im KULTURkino des ach so kulturaffin-niveaubedachten Friedrichshagen?
Ich will hier nicht unbedingt Kollegen schlechtmachen, letztlich sind sie mir näher als manche heutige Puppenspielstudenten, denen von gutbezahlten Professoren schon im 2. Studienjahr elitärer Dünkel angezüchtet wurde. Aber wenn man das Genre ernstnimmt, muß auch Kritik sein.
Entgegen des diskriminierenden Umgangs der Berliner Kulturpolitik mit dem Genre Puppenspiel, was z.B. seit 25 Jahren fast kein Ensemble-Puppenspiel oder die faktische Ausrottung der Spielform Marionette zuläßt und im (quasi staatlichen) Zentral-Puppentheater SCHAUBUDE Puppentheater durch Performance, Installation, Objekt-Schauspiel ersetzt hat, steht andererseits Puppenspiel durchaus im Blick anderer Förderer. Den IKARUS, Berlins Kindertheaterpreis, haben in den letzten Jahren oft Puppenspiele bekommen. Warum sieht man diese Stücke nicht im Friedrichshagener Kulturkino? Nur weil deren Akteure nicht auch die Bölsche mit bunten Plakaten bestücken?