Zum UNIMA-Symposium PUPPENSPIEL IM ÖFFENTLICHEN RAUM
(August 2022) Geht das Puppenspiel aus den Theaterräumen auf die Straße, kehrt es gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück. Ich möchte meine Erfahrungen unter gesellschaftlich recht konträren Bedingungen beschreiben.
„Freies“ Puppenspiel auf Straßen und Plätzen gab es in der DDR kaum. Es wurde aber zunehmend in künstlicher Form ersetzt, wobei einerseits das volkstümliche Puppenspiel neu erfunden wurde – oder was man sich darunter vorstellte – andererseits gab es ja einige letzte traditionelle Marionettentheater noch, meines Wissens präsenter als im Westen. Von ihnen konnte man sich inspirieren lassen und so fuhren wir Puppenspielstudenten 1973 auf ein Dorf, ein Stück weg von Dresden, und sahen im Saal des Wirtshauses Erbgericht eine Marionetten-Aufführung von Mutter und Sohn Ritscher. Traditionelles Marionettentheater war beim Kunstpublikum noch kaum wieder angesagt oder gar schick. Und so ist meine stärkste Erinnerung die an das Publikum, das der Sache ruhig beim Bier folgte, so wie die Aufführung kaum etwas Marktschreierisches hatte, anders als oft angenommen. Trotz Siegeszug des Fernsehens gehörte es für die Dorfleute dazu, sich so etwas anzusehen, ohne Gedanken an Nostalgie, altes Barocktheater oder gar Kunst – also was unsereins dabei so im Kopf hat – und wahrscheinlich wurde nicht einmal geklatscht, was keineswegs Ablehnung signalisierte, sondern Normalität.
Beim aufkommenden "Volkstheater-Spektakel" war das anders – es war ja Adaption und Übung in Ungezwungenheit, gewissermaßen: „Seinse mal locker!“ Als ich aber in „Kasparett“ (1979), Geschichte des deutschen Kaspers, zumeist mit historischen Spieltexten, auch die Szene „Kasper und Gendarm“ zeigte, um 1900 auf einem Hamburger Jahrmarkt mitstenografiert, merkte ich: Meiner Revue fehlt was, Adaption hin oder her.
Ich ging also – auch als ich diese Szene in das Programm „Puppenjazz“ integrierte – mittendrin raus auf die Straße vor dem Theater, den Jugend- und Studentenklubs usw.. und nahm das Publikum mit. Der Text war historisch, die Handpuppen sahen zumindest so aus, aber ich hatte keine Kasperbühne, sondern spielte offen, damals noch nicht allzu überstrapaziert, als Verfremdung.
Der Gendarm will Kasper zum Soldaten machen, Kasper stellt sich dumm beim Exerzieren und verprügelt letztlich den Gendarm. Das wurde natürlich vom DDR-Publikum – das aktuelle Bezüge notfalls überall hineinsah – durchaus gegenwärtig verstanden, besonders, wenn zufällig ein Volkspolizist auf Streife vorbeikam, mit Mühe die eigentlich unerlaubte Straßenaktion ignorierte und so Teil der Szene wurde. Ganz selten wurde es problematisch, so, als ich einmal, aus einem Weimarer Studetenklub kommend, vor Goethe, Schiller und Nationaltheater spielte. Und einmal kurz nach der Wende unvorstellbarerweise in Paris. Früher räumten die Flics für mein unangemeldetes Spiel vor dem Festivaltheater durchaus die Straße – nun drohte ernsthaft Verhaftung.
Als Dauergast der Dresdener Kinder-Animations-Truppe „Spieltour“ entwickelte ich in den 80ern mit zwei Windsäcken als Straßenshow eine Delphinnummer und mit einer Kniefadenpuppe, wie sie traditionell eigentlich nur Begleitung zur Musik war, denn für das Instrument mußten die Hände frei sein; die Puppe am wagerechten Kniefaden tanzte eigentlich nur, aber mit der Zeit entwickelte sich eine kleine Geschichte. Ich kann mich an Proben nicht erinnern, es kam einfach beim Spielen immer wieder ein Stück Handlung dazu.
Das lief alles in organisierten Zusammenhängen ab – als fiktive Volkskultur, die wirkliche war inzwischen Blasmusik im TV – aber immerhin von einem breiteren Publikum wahrgenommen als nur Theatergängern. Tatsächlich einmal ausschließlich Passanten interessieren zu müssen, die auf Vorführungen nicht eingestellt waren, hab ich damals fast nie erlebt. Allerdings auch Situationen, wo das Kind zugucken wollte, aber die Eltern es wegzerrten.
1987 zum 750. Berlin-Jubiläum sollte ich mit der Ernst-Busch-Puppenspielabt. Straßentheater machen, auch auf Wunsch der Studenten. Von denen das wohl manche später bereuten, ja lebenslange Distanz begründeten. Es wurde nicht die vielleicht erhoffte fröhliche Aktion in dauereuphorischer Athmosphäre um einen Guru, wo auf der Probebühne das eingeübt wird, was später draußen läuft, mehr oder weniger festgelegt und die richtigen Zuschauerreaktionen erwartend. Ich wollte eben NICHT einfach meine Erfahrungen – oder meine Rezepte – 1 : 1 weitergeben.
Sondern etwas entwickeln:
Das DDR-Publikum, nicht so abgebrüht mit optischen Reizen usw., nahm das Ungewöhnliche latent früher wahr, blieb aber auch unsicherer: Was ist das? Dürfen die das? (Es war angemeldet, aber das wußte niemand) Manche übergingen bewußt diese Ordnungsstörung – und manche Jugendliche beschwerten sich sogar geradezu: Was soll denn das sein?
Die Anziehungskraft des Versteckten: Offensives „Ran an die Leute“ neigte dazu, diese eher zu vertreiben (im Westen bzw. heute durch die Befürchtung einer Werbeaktion, oder man müsse was unterschreiben, ein Spende geben usw.), während das scheinbar Versteckte neugierig machte: Die Studentin spielte scheinbar für sich, es schien kein Mitmach- oder Reaktions-Zwang zu bestehen, da blieben Leute stehen und schauten zu. Ähnlich, als alle im Kreis auf der Wiese saßen, Gesicht nach innen. Was ist dort in der Mitte? Ach, jetzt spielen sie mit Puppen...
Diese Tendenz zum „unsichtbaren Theater“ wurde kontrovers diskutiert, auch an der Hochschul-Abteilung, teilweise nicht verstanden und am „Normaltheater unter freiem Himmel“, also dem durchorganisierten, abgesicherten Draußentheater gemessen, wie es später auch an der Abteilung betrieben wurde, indem man z.B. die Mittel einfach vergröberte. Von der Professorin für Straßentheater habe ich jedenfalls im engeren Sinne nie welches gesehen.
Frühjahr 1990, kurz nach Mauerfall, erstes Festival der Freien Szene Ost im Palast der Republik, schon dadurch bedeutsam, daß besagte Freie Szene in der DDR offiziell gar nicht und in der Realität nur geringfügig existierte, nun aber im quasi ersten Haus der Staatskunst präsentiert wurde. Über mich mit meinem Kniefaden-Vati - wieder erst betrunken, dann tot - schrieb THEATER DER ZEIT "...fragt nicht, macht einfach los...".
Als ich einmal auf einem Schweizer Theaterfestival gastierte und auf der Straße in Normalkleidung Kniefadenpuppe und Windsack-Delphine spielte, stellte das Festival jemanden daneben, der Flyer verteilte: „Damit niemand denkt, da spielt ein Bettler“. Das leicht Provokante oder Belästigende wäre im Westen zu üblich gewesen.
Jahre nach der Wende auf dem Mistelbacher Puppentheaterfestival blieben die Saaltüren während der Kasperszene im Foyer vor Beginn noch zu, das Publikum mußte stehen - und ein Festival-VIP verließ unter Protest das Haus. Die Szene dauert 10 Minuten.