Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

Der Puppen-OST-ANARCHO-HIT von '82 / Trommeln & Puppen / Neues in Bukarest

22. Jan. 2025
Film:
https://www.youtube.com/watch?v=OtLqT-6gsYU&t=36s

"die jäger des verlorenen verstandes" Gruppe Zinnober, Premiere 1982 Ostberlin

 

Film von 2024 mit Szenen aus der Video-Aufzeichnung, 80er Jahre, und Zeitzeugen-Äußerungen.

 

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Das damals richtige (Puppen-) Stück zur richtigen Zeit! Pure Anarchie - erstaunlicherweise nicht verboten. Und vielen heute noch in Erinnerung!
Schade, daß der Autor - zumindest des Ausgangstextes - Hartmut Mechtel nicht genannt wird (Interne Querelen scheinen zur Kunst-Avantgarde zu gehören, sollte man aber nach 42 Jahren auch mal wegstecken) und wenig über das Umfeld vermittelt wird. Und ist die Dauerthese von Zinnober als "erster und einziger Freier Gruppe der DDR" heute noch haltbar? Ist sie vor allem  n ö t i g ? Ich erinnere mich z.B. an eine Puppen-Aufführung mit drei ganz anderen Akteuren 1974, war das keine Freie Gruppe? Auch ein recht bekannter Schauspielregisseur nennt sich Gründer der ersten Freien DDR-Gruppe.

 

Ich bedaure, und sicher nicht als einziger, daß die zweifelsohne außergewöhnliche Potenz-Ballung des "Jäger"-Teams Steffen Reck (Regie), Gabriele Hänel und Hans Krüger (Spiel), Christian Werdin (Puppen und Bühne) und vermutlich auch Autor Hartmut Mechtel zusammen kein weiteres Stück zustande brachte. Und die große Gruppe Zinnober / Theater o.N. zwar erstaunlich lange zusammenblieb, sich dabei aber irgendwann in etwas verlor, was von etwas weiter weg an eine Sekte erinnerte, deren Selbstbewunderung und beharrlicher Widerstandsnimbus die Kunst zu überwuchern drohte. Immerhin war das Prenzlauer-Berg-Biotop bei aller Staats- und Stasi-Reglementierung auch gemütlich und ließ, relativ frei von Geldsorgen, eine Menge zu. Auch eine nur halb angemessene Opfer-Rolle.

Dennoch: Die "Jäger" waren in ihrem so undifferenzierten wie rückhaltlosen Anarchismus mit Sicherheit einzigartig - Punkt!

 

Waren deshalb aber auch kein einsamer Fels im öden Meer von ausschließlich "sozialistischem (Puppenspiel-) Realismus" mit verbotenem Kasper - in den 50ern war ers allerdings latent. Einen Akzent in dieser Richtung hätte ich mir von der Filmregie gewünscht.

 Schon Frieder Simons Kasper hatte in den frühen Siebzigern oppositionelle Akzente gesetzt, der surreal angehauchte des Gottfried Reinhardt erst recht. 

1978 war die satirische "Bauch"-Trilogie von Kurt Bartsch am Puppentheater Neubrandenburg, Regie Waschinsky, als Arbeiterklassen-Beleidigung noch unter Polit-Skandal-Beben abgesetzt worden; die Stasi-Forderung, "Ensemble und Theater zu zerschlagen", wurde allerdings abgewendet. 1979 war Waschinskys "Kasparett - Deutschland ein Kaspermärchen" mit u.a. einer "Roten Kasper"-Parodie, dazu auch einem grünen, einem braunen und dem ersten deutschen schwulen Kasper am Verbot vorbeigeschrammt. "Kaspariade", Puppentheater Gera, Regie die unermüdliche Ingrid Fischer, wurde als verdächtig vom Theatervorplatz in den Geraer Zoo verbannt.

Zinnobers im Vergleich radikaleres "Die Jäger..." 1982, wurde relativ unangefochten viel gespielt, sogar auf dem offiziellen DDR-Puppenspielfestival: Äußerte sich obrigkeitliche Einsicht? Eher wohl Gleichgültigkeit und einfach Agonie  des anderen deutschen Staates - kurz vorm Hinscheiden

In der DDR-Nische Puppenspiel hatte sich einiges getan, die Athmosphäre war offener. Das Geschehen ab ca. 1976 - Gründung Puppentheater Neubrandenburg, von dem Zinnober sich in gewissermaßen Opposition zur Opposition abspaltete - wäre einer komplexen Reflektion wert. Auch wenn viele der Akteure, auch Zinnober und Neubrandenburg, ihr Heil bald danach im Schauspiel suchten und geradezu Zentralen vor allem junger Puppenspiel-Vermeider wurden, dabei leider und nicht gerade progressiv zu bestätigen drohten: Nur puppenfreies Theater ist letztlich richtige Kunst. Ein Ensemble- P u p p e n stück von Zinnober schaffte es jedenfalls nie bis zur Premiere. Aber zum Neuen gehört eben auch Scheitern.

"Die Jäger des verlorenen Verstandes" sind auf jeden Fall Anarcho-Historie. Nur diese? Oder ist der debile König heute das, was anders als 1982, nur unsichtbar  h i n t e r  smart-agilen Politikerfassaden steckt? 

 

PS: Es gibt vom damals "neuen" Puppentheater noch einige Videos (sogar auch vom "alten"), die auf die Aufbereitung warten. Ich hatte vom Westgastspiel eine Video-Kamera eingeschmuggelt, wodurch auch die "Jäger" aufgezeichnet wurden. Die DDR-Videos vom Puppentheater sind zwar eine Rarität, aber die dafür evtl. zuständigen Instanzen davon zu überzeugen, ist nicht ganz einfach. Wer kann weiterhelfen - nicht nur mit Adressen usw.?

 

(Nachtrag 29.1.2025: Zufällig finde ich einen schlichten aber bezeichnenden Eintrag in der Dresdner Puppentheatersammlung zu einer Werdin-Puppe für Zinnober 1990 "Schenkung Christian Werdin 2003. Die Marionette entstand für eine Inszenierung der Gruppe Zinnober. Die Regisseurin entschied sich jedoch gegen eine Verwendung der Marionetten und ließ die Geschichte schließlich von Schauspielerin darstellen." So ähnlich war es wohl auch bei einem "Sommernachtstraum", Regie auch Gabriele Hänel) 

https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/691925)

 

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Trommeln in der Nacht - ohne Brecht

Die Schlagzeug-Mafia

Die fünf Drummer gehörten zu den Lichtblicken einer früheren Talente-Show auf RTL mit mysteriösen Kriterien - es ging nicht um Musik. Sondern um Puppenspiel. Und soweit ich mich erinnere, verschwanden die Sieger danach wieder - wer weiß wohin. Die nichtsiegende Schlagzeugmafia jedoch - immerhin hatte sie es in die mainstreamgeprägte Sendung geschafft - gibts inzwischen auf dem Kultursender 3Sat. Nachts nach 5 Uhr, wenn die Solo-Witzeerzähler, die inzwischen wieder die Humorindustrie dominieren, durch sind. Aber normal Fernsehen tut ja heute kaum noch jemand, ich jedenfalls gucke Mediathek, also unabhängig von Programmzeiten.

Daß in diesem Genre fünf Akteure agieren, ist an sich schon bemerkenswert. Ebenso, daß der Klang trotz weitgehend fehlender Melodie und trotz eher sparsamem Instrumentarium kaum eintönig wird. Sie holen aus den fünf Trommeln, viel mehr haben sie nicht, einiges heraus - aber auch nicht bis an den Rand der Möglichkeiten, so bleibt es entspannt. Aus der o.g. Puppensendung sah man ... nunja, mehr oder weniger puppenspielende Schlagzeuger. Den Abschluß der 30-Minuten-3Sat-Version bildete eine Tiergeschichte als schwarzes Theater, d.h. im Dunklen agierende, unsichtbare Spieler führten Vögel und Hund, aus fluorisziernden Schlagstöcken gebildet. Und zuvor im Hellen spielte einer den Puppenspieler, der an aus ebensolchen Stöcken gebildeten Kreuzen und fiktiven Fäden zwei Drummer als Marionetten führte. Die fünf Musiker sind keine Pantomimen, aber alles ist perfekt und punktgenau choreografiert und wirkt einerseits professionell - andererseits haben die fünf großen Jungs den unbefangenen Charme von Amateuren. Das Gegenteil einer gestylten Boygroup, die sie gewissermaßen parodieren: "Backstreet Noise" nennt sich ihr Musikdrama der anderen Art.

Man staunt, daß dieses nur ein wenig an "Stomp", das weltweit agierende Rhythmus-Unternehmen mit Besen usw. erinnernde Trüppchen auf seiner ansonsten fast zu glatten Website an Presse nur einige Lokalblättchen nennt. Und daß sie nicht in Berlin, Hamburg, München ansässig sind. Sondern in Oldenburg. Wo sie demnächst wieder mal mehrmals ausverkauft sind - da gilt also der Prophet was im eigenen Land. 
Es ist eine Art Objekttheater, also das, was nach originellen Anfängen um 1980 als die Dauerlösung für modernes Puppentheater gehandelt wird. Daß da Nichtpuppenspieler manchmal die originelleren, aber auch perfekteren sind, zeigte sich schon öfter. Von der Puppenbranche meist ignoriert.

https://www.3sat.de/kabarett/3satfestival/die-schlagzeugmafia-3satfestival2024-102.html

 

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„DIE SCHÖNE UND DAS TIER“ im Bukarester Puppentheater „Tandarica“

Regie: Bobi Pricop
Adaption: Andrei Dósa
Szenografie: Oana Micu

Foto: https://www.teatrultandarica.ro/frumoasa-si-bestia/

Als der Vater ins Schloß kommt, ist dort noch alles recht normal. Erst später, wenn die Schöne es betritt, wird es immer skurriler, eine wahrhaft surreale Welt tut sich auf. Anfänglich glaubt man sich noch zu irren, wenn unter den an Fäden herumschwebenden Objekten nicht nur ein Trichter-Grammophon, sondern auch etwas ist, was ein Mobiltelefon sein könnte. Aber dann ist unter den Affen-Marionetten eine Figur, deren winziges Gesicht durch einen davor wie eine Brille sitzende große Lupe vergrößert wird – und nicht nur hier erinnere ich mich an die futuristische Nostalgie im Film „Brazil“. Und beim späten Auftritt der Bestie, von der sich nur der riesige Kopf  durch eine Wand schiebt, denke ich an „Alien“

Aber die Balance zwischen Eigenphantasien und diesen Zitaten – kaum störend, weil für das Kinderpublikum ab den angegebenen vier Jahren ja nicht auszumachen – bleibt gewahrt.

Die Schauplätze wechseln öfter, nur manchmal bleiben Dialoge länger in einem Raum. Die Drehbühne in fast Schauspielgröße macht es möglich und dann dreht sich wirklich wie einst bei Max Reinhardts Sommernachtstraum der Wald aus ca. 30 schlanken Stämmen. Hier sind die Marionetten kleiner und lassen den Raum größer erscheinen.

Wie die visuelle Seite sich mit dem Text verbindet, kann ich mangels Rumänischkenntnis ebenso wenig beurteilen, wie überwiegend, was das Theater selber über das Stück an Außergewöhnlichkeit beschreibt.

Das „Tandarica“ gehört zu den wichtigen Eindrücken meiner Jugend. Bei den (Ost-) Berliner Festtagen gastierte es einmal mit einer erstaunlich modernen Aufführung von Garcia Lorcas „Don Christobal“, Regie La Grande Dame Margarita Niculescu, Puppen den Bildern von Joan Miró nachempfunden. Ihre Tochter Irina zeigte später ein berührendes Stück mit Pferdemarionetten aus Stoff.

Inzwischen gab es hier nur noch wenige Stücke mit Marionetten, nun also erstaunlich große und sehr schlanke, die mir technologisch nicht ganz optimal schienen. Aber vielleicht war einfach der Umgang mit ihnen noch nicht ganz ausgereift: Sie sind recht anders als das, was hier inzwischen üblich ist und mich in den letzten Jahren manchmal enttäuschte, aber eher weil allgemein bunt und lustig und oft mit dem Osteuropa-typischen Folklore-Einschlag. Ähnlich die etwas sentimentale Sprechweise.

Die Durchgänge des Schlosses mit kniehohen Schwellen auszustatten, für Marionetten kaum zu überwinden, sind gewissermaßen das Gegenstück: Neues Design wichtiger als Funktionalität, wenn auch beeindruckend. Ja, ich bin auch kritisch, gerade, weil für mich insgesamt ein neuer Ansatz zu spüren ist.

In den zwei Monaten, die ich diesmal hier bin, gibt es übrigens keine wirkliche Abendvorstellung, obwohl im Repertoire entsprechende Stücke stehen – vor wenigen Jahren sah ich noch eins des rumänischen Absurden Ionescu. Die „Schöne“ gibt es um 18 Uhr – auch als Einladung an erwachsenes Publikum?

Erstaunlich, wie die Vierjährigen dem mit 70 Minuten recht langen Stück folgten. Neben mir mit Tochter ein Vater, manchmal unkonzentriert und abgelenkt, eher bildungsfern: Letztlich aber erfreulich, daß auch er herkommt und es nicht Kindergarten oder Schule überläßt – mit denen, wie ich höre, hier der Theaterbesuch noch organisiert ist. Das schien sich mir bis jetzt in Stillstand auszuwirken. Nun also Signale von Bewegung. Schon die Fotos einer „Peter Pan“-Inszenierung waren mir vor einem Jahr aufgefallen, aber als ich es besuchen wollte, wurde ohne Ankündigung eines der alten Stücke gespielt.

In dem agierten übrigens viele Spieler als Menschen, eine Erscheinung überall im Puppentheater, die zunächst belebte, auf Dauer aber nicht wirklich weiterführte.

„Die Schöne und das Tier“ aber ist völlig auf Puppen beschränkt. Und das wirkt nicht wie von gestern, sondern im Gegenteil.