TÄTERÄTÄÄÄÄ !!!
oder
Tritratrallalla - der Generalanzeiger ist wieder da.
Öfter wurde nachgefragt, was mit ihm ist. Nun also wieder neue Berichte über Puppentheater und Leben, halbwegs regelmäßig. Und wegen des langen Schweigens (er mußte generalüberholt werden) nun gleich hintereinanderweg ein paar neue Texte, vor allem, aber nicht nur, zu Kaspers Theater.
Weiterhin erscheinen hier manche Artikel, bevor sie die Puppenspielfachpresse druckt, manchmal in ausführlicherer Version. Gastbeiträge, Kritik, Hinweise usw. stelle ich gerne ein - auch mit anderen Meinungen als meiner. Durchaus auch ohne Namensnennung. Es beginnt zufällig mit 2 mal QUEER.
Schwules Kaspertheater?
Ute Kahmann pielt “queer papa queer” in der Schaubude
(18. Nov. '19) Der Abend bewegte sich auf hohem Niveau und meine Kritik an einigen Details setzt auf entsprechendem Level an.
Der in den Westen entwichene Vater – eine real existierende Figur, nämlich Ute K.s Erzeuger – wurde im Laufe des Abends immer interessanter – aber am Ende wußte man über ihn immer noch recht wenig, außer, daß er schwul war. Und alles mögliche sammelte – die Bühne ist zum Schluß mit einer endlosen Girlande aus Kondomen behängt. Dafür erfährt man einiges über die Situation von Schwulen in der DDR – wenngleich ich meine, daß deren Leben zumindest in den größeren Städten nicht nur von Restriktionen durch Staat und Stasi geprägt war, wie es die Aufführung zeigte.
Wurde das Stück vielleicht durch schon wieder zu viele Hintergrundinformationen und lange Recherchen ein wenig belastet? War z.B. die Vorgeschichte des Großvaters nötig, die sich nicht wirklich auf das Weitere auswirkte, aber den Abend etwas schleppend beginnen ließ? Insgesamt jedoch schien mir die Verdichtung des Materials schlüssig.
Auf jeden Fall gab es eine Reihe von beeindruckenden Szenen, z.B. wenn mit Blicken zweier kleiner weißer Figuren hinter einem Wandschirm eine Sexszene glaubhaft wurde. Das gab auch eine Vorführung dessen, daß derlei mit Puppen deutlich aber ohne jede Peinlichkeit möglich ist.
Andererseits aber waren für mich die wenigen Handpuppenszenen puppenspielerisch ergiebiger als die relativ vielen Dialogszenen der weißen Figuren, die dann nur einen Arm und ein wenig den Kopf bewegten. Mit den billigen Industrie-Handpuppen zeigte Ute K. einfach mehr puppenspielerische Fähigkeiten: Als Tochter , auch wenn das Mittel der Serienfiguren mir hier nicht einleuchtete, vor allem aber bei der Szene, wo die Tochter – hier geschauspielt – dem Westpaket einen Gummikopf-Kasper entnimmt, der dann mit ihr in einen prägnanten und wunderbar komischen Ost-West-Dialog tritt.
Demnächst wird es in der Schaubude einen sehr problemorientierten Abend geben – politisch höchst korrekt, aber puppenspielfrei. Ein Puppentheater in Nordwestdeutschland kündigt einen DDR-Abend an – geschauspielt. Das Team um Ute K. bemüht sich dagegen in “queer papa queer” immer wieder um puppenspielerische Lösungen, weicht auch in dieser Hinsischt nicht aus.
Insgesamt waren die Texte dicht und Ute K. trägt sie sympathisch und als individuelle Äußerung vor – es geht ja um etwas sehr persönliches, ohne daß es je exhibitionistisch-privat wird. Diese Qualität griff um sich und so war der Abend – neben mir saßen zwei der quasi dargestellten DDR-Protagonisten des schwulen Kampfes – weit entfernt von einer Szene-Veranstaltung.
Großartig die musikalische Begleitung durch Akkordeonist Felix Kroll, virtuos, kraftvoll und immer auf das Geschehen orientiert - ein wenig überflüssig die vorproduzierten Einspiele, als würde man der Wirkung des handgemachten Puppenspiels und der Livemusik nicht recht trauen.
Insgesamt hätte ich mir von Regie (Heike Scharpff) und Dramaturgie (Tom Mustroph) ein wenig beherztere Strukturierung gewünscht – andererseits äußerte sich hier auch Achtung vor dem gelebten Leben der behandelten Personen.
Vor 25 Jahren spielte ich “Good bye Berlin” nach Isherwoods schwul geprägtem Kultbuch – außer dem Berliner Premierentheater interessierte das keinen Veranstalter und kein Festival.
Eine berührende und wunderbar umgesetzte schwule Geschichte zeigte vor einigen Jahren Elke Schmidt vom Seifenblasen-Puppentheater: Die Liebe zweier Jungen in Nazi-Deutschland, bestens geeignet fur Jugendliche. Aber Schulen usw. lehnten Aufführungen oft ab. Möge es mit “Queer Papa Queer” besser laufen.
Die Entscheidungen der Schaubude, gerade bei diskussionswürdigen Vorhaben, scheinen mir nicht immer schlüssig. Ihre Unterstützung für diesen Queer-Abend verdient Beifall.
LUXUSPLUNDER
(Okt. '19) Haben erotische Darbietungen heute wirklich alles Verruchte verloren, so daß auch der Kindergarten hingehen könnte? Der Dreijährige neben uns interessierte sich allerdings mehr für die Frau hinter ihm als die auf der Bühne, die sich gerade nahezu ihrer umfangreichen Kledage entledigte.
Luxusplunder – so wäre TRASH DE LUXE wohl zu übersetzen. Seit neun Jahren und ungefähr alle drei Monate präsentieren die drei Initiatoren eine gelegentlich mit Profis durchsetzte Amateur-Show. Ausgangsgenre ist wohl die Travestie, auf jeden Fall vertreten durch das Moderatoren-Trio aus zwei extrem schlanken und einem extrem gegenteiligen Akteur mit bewundernswert perfektem Make up und – angesichts der oft beengten Hinterbühnenverhältnisse – ebenso bewundernswert häufigem Wechsel ihrer reichhaltigen Garderobe.
Travestie gab es diesmal ansonsten nur gelegentlich, meist mit Enthüllungs-Elementen, s.o., und meist von biologischen Damen gezeigt, war also das, was heute Burlesque heißt. Da hätte ich manchmal einen einfühlsamen Regisseur gewünscht, der die interessanten Einfälle ordnet und ihnen so zu besserer Wirkung verhilft, z.B. beim ungewöhnlichen Strip mit glitzerstreuendem Totenschädel zu Klezmerklängen. Daß zu Gesang aus der Konserve einfach nur synchron die Lippen bewegt wurden und schlicht der Drang nach Scheinwerferlicht und Publikum die ganze Idee war, sah man auch, aber eher selten.
Dafür gab es einen weiblichen Song-Singer, eine weibliche Diseuse sowie eine männliche mit sehr angenehmer Stimme und sogar eine Autorin, die Gedichte vortrug - die eigenen, was man durchaus hätte deutlich sagen können.
Ein ausgesprochen freundliches, zudem sehr gemischtes Publikum – darunter nicht wenige junge und ältere Heteropaare - trug sehr zur fröhlichen Stimmung bei. Niemand wird ausgebuht, bestenfalls ist der Beifall mal kürzer.
Tuntentrash lebt ja oft von spitzzüngigem Zynismus. Die drei Moderateusen jedoch begifteten wenn überhaupt sich selbst, vor allem aber sahen sie sich – und das kenne ich leider auch ganz anders – offensichtlich als Diener ihrer Gastkünstler, denen sie den Boden bereiteten. Dies manchmal wortwörtlich, wenn sie nach den Stripeinlagen die abgeworfenen Kleiderberge von der Bühne räumten.
Das Team freut sich, daß es bald einen festen Spielort hat: Haus der Sinne, 1.2., 7.3., 2.5. je 20 Uhr. An der Kasse wird um 5 bis 10 € gebeten. Ja, Berlin ist manchmal noch preiswert, wenns nicht um Wohnungen geht.
Waldbodenseilschaften
Neues von Michaela Bartonova und Ralf Lücke: “Wunderbare Wurzelwelten”
(Okt. '19) Tineola Theater Prag und Rafael Zwischenraum Berlin haben wieder zugeschlagen, sich dabei risikobereit ein Stück weiter aus dem Fenster gelehnt und sind wie ich meine, zu einer höheren Stufe unterwegs. Das Grundprinzip bleibt: Michaela Bartonova malt auf einem I-Pad, was auf den Bühnenhintergrund projeziert wird, Ralf Lücke agiert davor. Nach ihren wunderbaren Stücken wie “Ei-Pad, Affe und Giraffe” gab es nun als Premiere “Wundersame Wurzelwelten“, das sich in die Kindheit einer Forstwissenschaftlerin begibt und mit ihr erkundet, wie sich unter dem Wald das Wurzelwerk vernetzt und grosse Systeme bildet.
So gesagt, klingt das – da eine Animation des Projezierten im eigentlichen Sinne, also Richtung Film bewußt vermieden wird – ein bischen trocken und nach Diavortrag. Aber der wird durch Lückes Agieren, teils mit kleinen Flachfiguren, teils selbst, sowie durch die Schichtungen im projezierten Bild, Übermalungen, das Auswischen usw. gebrochen. Da werden die I-Pad-Möglichkeiten einerseits bis an deren Grenzen und damit weit über die Möglichkeiten der Malerei mit realer Farbe ausgenutzt. Andererseits bleibt es eben Laterna Magica mit immer handgemachten, oft wunderschönen Bildern, trotz der eingesetzten digitalen Mittel, fern von illusionistischem Computer-Animationsfilm.
Der Text aus dem Lautsprecher mutet den Kindern einiges zu, Begriffe wie “Nanoteilchen” sprengen sicher deren Horizont. Aber die sehr kleinen Premierenkinder schauten meist interessiert auf das Geschehen. Dass hier kein Film ablief, wird durch die am Bühnenrand malende Künstlerin klar, könnte aber noch etwas betont werden, so wie Ralf Lücke manchmal eine Spur präsenter sein dürfte.
Dass diese Vorstellung als Zwischenstation im Work in Progress zu sehen ist, meinen auch die Macher (Regie Mark Pitman, Musik Michal Kořán, Ralf Lücke, Agnes Kutas. ). Ihr Mut verdient Respekt. Und Unterstützung. Warum nicht durch die Berliner Schaubude, die doch vor einiger Zeit etwas rätselhaft “Digital ist besser” verbreiten und sogar weithin plakatieren liess?