Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

BALLETT GERETTET - KASPER FAST TOT

Peter Waschinsky schreibt mal wieder über den Berliner Puppenspiel-Abbau, inzwischen weitergeführt durch Lederer/Bangert (links/grün) und das Schweigen der Presse. Sein Text ist ein Artikel, wie er ihn seit langem in seiner linken Tageszeitung vermißte, die er kürzlich (auch noch wegen anderen Defiziten) gekündigt hat. Als Vorschlag an die Redaktion gesendet, Reaktion keine.

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Vor einiger Zeit drohte das Berliner Ballett zumindest teilweise vom Ausdruckstanz verdrängt zu werden - und in der Volksbühne das Repertoire-Schauspiel von Eventkultur. Beides ist vom Tisch, wohl auch, weil die Presse fleißig schrieb.
Daß das Genre Puppenspiel im Ensemble schon seit über 20 Jahren aus dem zentralen Puppentheater Schaubude verschwunden ist, daß hier auch nicht mehr produziert, sondern nur noch billig eingekauft wird, das Haus also keine Spiel- sondern nur noch Abspielstätte ist und Eventbude, wird dagegen ignoriert von der Presse. Und von der Kulturpolitik.
Kultursenator Lederer - nur zur Erinnerung: LINKE - und die grüne Kulturausschußvorsitzende Bangert führen fort, was ihre politisch ganz anders verorteten Vorgänger seit der Wende taten: Sie bauen wirklich ostspezifische Theatergenres weiter ab. Direkt oder indirekt.

Kleiner Rückblick: Gleich nach der Wende, stellte man zum Einstieg ins westliche Kultursystem die Seriosität des Deutschen Theaters wieder her, indem man es von seinem Pantomime-Ensemble befreite, auch wenn es das Einzige in Westeuropa war. Das Eingesparte ergab günstig das neue Intendantenhonorar.
Und bei der - zunächst durchaus richtigen - Umwandlung des mittelmäßigen (Staats-) Puppentheaters Berlin ins Projekttheater Schaubude wurde nicht nur die Wiedereröffnung zeitlich enorm verzögert, in der Hoffnung, sie würde vergessen, sondern auch das Budget um ZWEI DRITTEL reduziert, entgegen allen Vereinbarungen mit der Berliner Puppenspielszene. Realisierte der erste Leiter trotzdem noch eigene Ensembleproduktionen, wollten es seine Nachfolger ab Ende der 90er Jahre schon selber nicht mehr. Eingekauftes in schneller Folge und Festivals, also das Prinzip unentwegter, schnell verlöschender Minifeuerwerke statt Kontinuität gaukeln Vielfalt und Leuchttürme vor.
Das Haus der Berliner Puppenspieler ist es längst nur noch auf dem Papier. Die Szene trifft sich hier kaum. Warum auch? Um einem Chef zu huldigen, der mit wenig Erfahrung und lächerlichen Meriten von einer Klüngel-Jury auf seinen Posten gehoben wurde und bei seinen wenigen Eigenprojekten meist daneben greift? Und vor allem auf Multimediales setzt, also das, was an einigen anderen Berliner Häusern mit dort entsprechenden Voraussetzungen besser gemacht wird?

Die Schaubude hat keine Proberäume und nur eine kleine, durch Vorhang abgetrennte zweite kleine Spielstätte. Berlins Puppenspiel brauchte und braucht dringend eine Alternative, Proben-, Werkstatt und Spielräume. Die gab es: Das Schöneberger Hans-Wurst-Nachfahren-Puppentheater.
Obwohl im Westen, war es einerseits das einzige Berliner Puppentheater, wo noch, eher osttypisch, im Ensemble gespielt wurde. Wurde aber aus künstlerischen Gründen Jahr für Jahr von der Senatsjury Darstellende Kunst abgelehnt. Erhielt aber ebenso kontinuierlich trotzdem von der Politik immer wieder die höchste Berliner Förderung für Freies Puppentheater. Kurz: Solange es hier leicht muffig aber brav zuging, floß auch das Geld, zumal die alte Leitung bestens in den Berliner Filz integriert war.
2018 ging diese Leitung in Rente und das Haus, noch für fünf Jahre nutzbar, wäre neu zu besetzen und dabei künstlerisch neu zu profilieren gewesen. Von acht Bewerbern kamen sieben aus dem Puppenspielbereich. 
Es gibt klare Indizien, daß die achte Bewerberin - für ein Tanztheater für Kinder, Theaterpädagogin Gabi dan Droste - mit Kulturstaatssekretär Dr. Wöhlert Kontakt aufnahm. Seiner nun folgenden Ausschreibung nach mußte das Haus jetzt kein Puppentheater mehr sein - und wurde es auch nicht. In einer ungeheuerlicherweise nur vierwöchigen Ausschreibungsfrist, entgegen Jahren bei Volksbühne oder Jungem Staatstheater, wurde die Vergabe durchgepeitscht, nachdem eine offensichtlich genehme Jury aufgestellt war. 
Also wurde das Haus am etablierten Puppentheater-Standort einschließlich seiner vergleichsweise hohen Fördersumme ein Tanz- und Performance-Haus. Puppenspiel-Gastspiele dürfen den Spielplan füllen helfen - eine wirkliche Puppenspielproduktion ist nicht vorgesehen, war zu erfahren.

Satirisch zugespitzt könnten Rechte nun dazu sagen, was faktisch leider stimmt: Hier wurden deutsche Puppenspieler durch ausländische Tänzer verdrängt - letztere sind genremäßig sprachunabhängig, sie kommen gern in die relativ gut abgefederten Berliner Verhältnisse. Erstere sind eher nicht sprachunabhängig und können kaum ins Exil ausweichen.
Die absurde Umwandlung war Folge der vorsätzlich mißverstandenen Senatskampagne zu Stärkung von Kinderkultur. Derart engstirnig aufgezogen, wurde also das hauptsächlich Kinder-Puppentheater zum Kinder-Tanztheater gemacht, das man relativ problemlos in einem der bestehenden Tanzhäuser hätte einrichten können.  

Die Puppenspielausbildung, an der Berliner Schauspiel-Hochschule "Ernst Busch" seit fast 50 Jahren etabliert, brachte erstaunlich wenige Puppenspieler hervor. Es gibt zu wenig geeignete Bewerber. Wohl als Schutz der Professoren - genauer ihrer Gehälter - die sich in ihrem Ghetto über die Berliner Puppenspielrealität erhaben dünken, werden die Klassen mit im Schauspiel abgelehnten Bewerbern gefüllt. Als Absolventen hängen sie später als graue Masse von arbeitslosen Schauspielern um die Puppenspielszene herum und verachten das Puppen-Metier. Das erlernte Handwerk ist über Performance und Objektschauspiel schnell vergessen. Jedenfalls finden tatsächliche Puppenspielprojekte oft keine Mitwirkenden und eines der letzten Ensemblepuppentheater in Ostdeutschland - es waren mal 15 ! - in Chemnitz annonciert inzwischen nach interessierten Laien, um Stellen besetzen zu können. Das ist in keinem anderen Theatergenre auch nur annähernd denkbar.
Wesentlich dafür ist, was die Studenten in der verkorksten Berliner Puppenspielpraxis sehen. Wie in der Schaubude. Da zeigte kürzlich eine frühere Puppenspielerin, seit 25 Jahren auf dem Schauspieltrip eine Kochshow. Ist eben Objekttheater. Das wird zwar stupide dem Puppenspiel zugerechnet, jedenfalls bei der Vergabe der finanziellen Förderung,  ist aber real nach 40 Jahren mittlerweile meist einfach Schauspiel mit etwas mehr Requisiten.
Von einer "Kunst des Puppenspiels" ist kaum noch etwas zu sehen.

Nichtgenehmes wird ignoriert von einem Schaubudenleiter, der sich nie verantworten muß und vom Senat wieder einmal für die Ewigkeit eingesetzt wurde, damit sich die Kulturpolitik unabgelenkt mit höherer Kunst beschäftigen kann. Immer selbstherrlicher  - gestandene aber kritische Kollegen kann er draußen stehen lassen, es gibt ja genug Nachwuchs, der ihm für zwei Auftritte mit Objekt-Schauspiel die Füße küßt - ignorierte er Z.B. die drei (!) Abende über Willy Blum:
Das ist der anno 2000 entdeckte, immer noch fast unbekannte Sinto, der anstelle des berühmten kleinen Juden S.J.Zweig ("Nackt unter Wölfen", 1 ikonografischer Roman, 3 Verfilmungen) in Auschwitz ermordet wurde. Nach Annette Leos Buch "Das Kind auf der Liste" von 2018 entstanden schnell drei - was wohl etwas über die Brisanz sagt - Bühnenversionen. Schaubudenleiter Tim Sandweg zeigte sie geradzu programmatisch NICHT. Warum? Willy Blum war der Sohn einer Puppenspielerfamilie und so gab es in allen drei Versionen Puppenspiel. Also das, was dieser Mann "überwinden" will. Im Berliner Zentralen Puppentheater
Nachdem er für einen offiziösen Anlaß dann doch einen der Abende eingekauft hatte, kündigte er ihn wieder. Angeblich hätte sich der Mitwirkende Peter Waschinsky auf facebook rassistisch geäußert. Waschinsky hatte - wie vor ihm z.B. Literaturnobelpreisträger Herta Müller oder sinngemäß das Landesverfassungsgericht Mecklenburg - für einen entspannteren Umgang mit den Worten "Neger" und "Zigeuner" plädiert.

Waschinsky kritisiert die Schaubude öfter für das o.g. Eventkonzept, was wohl der eigentliche Grund ist, ihn in der Schaubude kaum noch zu präsentieren. Der ND-Verlagsleiter schrieb an ihn intern kürzlich von "... Ihrer künstlerischen Leistung und den Verdiensten, die Sie sich um das deutsche Puppenspieltheater erworben haben...". Im ND-Berlin-Teil hieß es auch 2017 über eine Premiere: "Die verbalen Pfeile flogen... er fürchtet wohl nix und niemand... besitzt viele Talente... seine Texte werden immer besser... Letztlich hat er es geschafft. Nämlich – Wut in Kunst umzuwandeln". Das richtete sich vor allem gegen die Senatspolitik, die de facto das Puppenspielgenre diskriminiert. Über den gleichen Abend schrieb Fidena-Portal: "Eine Hand tritt auf. Sie bewegt sich filigran über die Spielleiste... trotz aller Absurdität eine unendliche, feine Zartheit..." Das klingt nach "Kunst des Puppenspiels" - und so etwas scheint für Berlins Kulturpolitik verzichtbar. Und das wiederum ist fürs Berliner Feuilleton nicht interessant.