Les Rhinocéros – wo sind sie?
Die Nashörner
von Eugène Ionesco, Übersetzung: Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel
Mit Enikő Mária Szász, Odile Pothier, Gerda Pethke
Outside Eye (das meint wohl korrigierender Außenblick): Moritz Schönbrodt
Gefördert vom Berliner Kultursenat
14./15.Nov. 2024, Nachtkritik, abends gesehen, nachts geschrieben, früh eingestellt:
Nashörner zertrampeln eine Stadt - aber nicht in Afrika - es sind die verwandelten Bürger. Und obwohl Tiere aller Art im Puppentheater kein größeres Problem sein dürften, treten keine Nashörner auf.
Beim Autor Ionesco erscheinen sie durchaus und man fragt sich, w i e . Schauspieler mit Pappköpfen sind ein bißchen billig. Vermutlich blieben sie in den Schauspielaufführungen ab 1959 eher fiktiv.
Das kleine Grashüpfer-Theater im Treptower Park, wo seit über 25 Jahren bis auf meist gut ausgesuchte Ausnahmen fast nur Kinder-Puppentheater läuft, ist zur Abend-Premiere voll. Nicht das gelegentliche Eingeweihten-Lachen dominiert die Athmosphäre, sondern ein ruhig-gespanntes Interesse.
Trotz meiner Ankündigung kürzlich hier im GENERALANZEIGER, jetzt, wo ich selbst Berufsrentner und nicht mehr ins Theatermachen involviert bin, auch mal richtig kritisch vom Leder zu ziehen: Meine folgenden Einwände sind nur der Einstieg zur Bewertung einer nicht runden, aber wirklich sehenswerten Aufführung.
Einwand 1 ist vielleicht keiner: Vom Text des Absurden-Klassikers blieb offensichtlich nur das für dieses Konzept Brauchbare übrig: Eine Dreiviertelstunde.
Die weiblichen Stimmen der drei Spielerinnen lassen bei mir keine - wohl beabsichtigte - Durchschnittsgesellschaft entstehen; diesbezüglich klebt das Ganze etwas arg an den Umständen. Keine Rahmenhandlung oder sonstiger Kunstgriff macht aus dem reinen Frauen- Trio eine Absicht. Und die wenig ausgeprägten Eigenheiten der Personen lassen kaum Charaktere entstehen, sondern eher Masse; für die Gesamtaussage wie für die Aufführungslänge aber akzeptabel.
Die kleinen Puppen usw. verschwimmen etwas im kleinen, aber dafür immer noch zu großen Bühnenraum. Das wurde durch wechselndes Licht nicht wirklich abgefangen, hier hätte eine Einengung durch einen Bühnenrahmen und dadurch Fokussieren vielleicht mehr gebracht. Man kennt ja den Effekt der scheinbar vergößerten Puppen. Das wenige Geschehen weit unter der Spielleiste, gar am Boden, wäre auch anders zu realisieren.
Aber:
Vor allem ist der Verzicht auf nahezu alles heute Puppenspiel-Übliche zu honorieren. Keine Tisch- oder Vierfüßerpuppen, also “abgeschnittene Marionetten”. Keine realistischen Figuren - in den 70ern dem permanenten Stilisierungszwang entgegengesetzt, aber inzwischen längst wieder Standardlösung. Besonders radikal: Absolut keine von den Puppen ablenkenden sichtbaren Spieler, also was immer noch als „modern“ gilt.
Dafür die immer wieder gern vergessenen Handpuppen - außer wenn ans gute alte Kaspertheater erinnert wird. Die werden mir hier manchmal etwas zu zappelig und insgesamt etwas gleichförmig gespielt. Und daß sie die Spielerfinger als Hände haben, verrät und verkleinert vielleicht den Haupteinfall; oder wird er damit eher vorbereitet?:
Die Nashornplage, die kommt nicht von außen. Das sind - großartig einfache Puppentheater-Lösung statt Schauspielern mit Nashornköpfen - die in den Handpuppen steckenden Spielerhände. Die kriechen wie Insekten aus ihren Larven aus den sie umhüllenden Handpuppen, nehmen sie in Griff und bewegen sie von außen, drangsalieren die noch “normalen” Handpuppen. Und formieren sich zum Hand-Bataillon.
Das könnte manchmal noch zackiger sein. Oder auch mal weich und schmeichelnd. Aber diese Hände zeigen auch nie den naheliegenden Hitlergruß, vereinfachen und vereinseitigen nichts.
Diese zunächst Handpuppen-Konsequenz ermöglicht am Anfang plötzlich eine in der fast biederen Figurenwelt deplaziert erscheinende nackte Hand. Die sich erst später erklärt.
Die immer mal nach unten oder in Schräglage verrutschende Spielleiste präsentiert die Nashorn-Epidemie auf andere Weise, ist ein anderes puppenspielgemäßes Mittel, aber genaugenommen eine wenn auch sinnfällige Doppelung. Vielleicht müßte das mal eine Hand auslösen durch Draufhauen o.ä., um den Bezug herzustellen?
Einiges dürfte sich noch einspielen. Ich würde gerne nochmal genauer hingucken. Aber das ewige Problem des Freien Puppenspiels: Zunächst keine weitere Aufführung in Berlin, erst am 9. Januar. Immerhin! Im Grashüpfer.
(Das dazu fällige Thema Schaubude, eigentlich zuständig, sei diesmal hier nur angedeutet, ebenso die dieses hinnehmenden jungen Kollegen – heute zahlreich im Publikum, im Gegensatz zur völlig abwesenden älteren Szene, die ja inzwischen in der Schaubude ihre Kinderpuppenstücke spielen darf, wenn ansonsten brav, mehr wollen sie nicht von den Nashörnern)
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Lieber Kollege Tobias Weishaupt! Berlin, 20. Nov. 2024
Eigentlich wollte ich dir zur Verleihung des Theaterpreises FAUST gratulieren.
Ich freue mich über die Verleihung an einen Puppenspieler! Noch dazu einen, der weniger durch glänzende Festivalauftritte usw. auffällt, sondern an einem der kleineren Ensemble-Puppentheater den Normalbetrieb aufrechterhält und kontinuierlich die Mühen der Ebenen bewältigt.
Die TV-übertragene Verleihung warf jedoch Fragen auf: Der Ausschnitt mit deinem Spiel war mit ca. 1 Minute so kurz, daß man keinen Eindruck bekam, dafür spielte deine Kollegin Steffi König ca. 5 Minuten. In sicher beachtlicher Qualität in seit Jahrzehnten routiniert-üblicher offener Spielweise, wo Spieler oft von der Puppe ablenken, so auch hier.
Ich wurde den Eindruck nicht los, daß mit dem Preis für den Puppenspieler praktischerweise auch gleich die Kategorie "Kinder" erledigt wurde, wie auch, daß das Geraer Puppentheater - mittlerweile auf 2 Spieler reduziert (Stellenstreichungen oder Bewerbermangel?), wo ich seinerzeit noch durchaus E n s e m b l e regie führen konnte - einfach unkompliziert am Geraer Theater, dem Ort der Preisverleihung vorhanden war.
Und so wäre meine Gratulation nicht ganz ehrlich. Ich hoffe, du kannst mit der ganzen Angelegenheit angemessen umgehen und wünsche dir alles Gute!
(Ich habe mal vor ca. 40 Jahren beim "Theatre des Nations" in Sofia einen hohen Preis bekommen, einfach, weil ein amerikanischer Puppenspieler ihn auch bekam - so ist das eben, haha).
Gruß aus Berlin, wo zwei Scharlatane das Puppenspiel und dessen Ausbildung schwer belasten, was mit Sicherheit ausstrahlt
Peter Waschinsky
Ex-Puppenspieler, Regisseur und Dozent, jetzt Rentner
Szene Tobias Weishaupt und Preisübergabe 1:28
Szene Steffi König 1:37
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KAMIKATZE in der Schaubude Berlin
Traraaa! Echte Katzen auf der Bühne! Aber die haben dann irgendwie Probleme und werden gegen Puppen ausgetauscht. Es geht auch anders, aber so...
Schöner Anfang, aber das habe ich eher der SCHAUBUDENankündigung entnommen. Auf der Bühne müssen sich zu Anfang drei Spielebenen etablieren, die Spieldamen, die CIA und die Katzenpuppen.
Es entspinnt sich eine Art Krimiparodie. Die CIA hat mal Katzen als Spione technisch aufgerüstet – und die gingen dabei drauf. Besonders eine. Oder wars ein Verkehrsunfall?
Das Ganze als quasi Muppetshow, mit sichtbaren Spielern, die aber n i c h t von den Puppen ablenken, weil die schön große Köpfe und Klappmäuler haben. Es gibt elegante Momente mit ausgefeilten Bewegungen, wenn zwei an einer Katze arbeiten. Die Stimmen werden kräftig verstellt wie im Comic.
Das einfache Bühnenbild ist sehr gut für Videoprojektionen geeignet, so entstehen sehr unterschiedliche Ansichten und wenn storygemäß mehr Personal auftritt, dann als Video.
Die Klischees könnten manchmal noch eine Spur mehr durchdrehen, wie z.B. die Barszene.
Wenn es sich einspielt, ist es sicher eine nette Stunde Unterhaltung. Und diese Chance besteht: Das Haus rückt mehr und mehr vom Wahn ab, wie ein DDR-Kulturhaus ständig was anderes spielen zu müssen, statt der Flüsterpropaganda zu vertrauen, kurz: Das Stück gibts schon im Januar wieder.
Sehr freundlicher Beifall der ausverkauften Premiere – dabei wollen die Leute doch angeblich keine Puppen. Sondern Objekte.
Oder? Jedenfalls gibts nun wieder Puppen im Zentralen Berliner Puppentheater.
Nachdem faktisch eine Generation lang einiges - sagen wir ruhig viel zu viel - "aussortiert" wurde. Mit auch entsprechenden Folgen für die an den Puppen hängenden Menschen.
s. dazu auch