Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

PLING! Kasper mach(t) das Licht an! (Solo - Christiane Klatt)

PLING! Kasper mach(t) das Licht an! (Solo - Christiane Klatt)

IM DICKEN TAL

„Guten Tag, hamse dicke Tal-Uhren (Digital-Uhren)?“ „Nee, nur dünne Berguhren!“ (Alter Witz)

Vor ziemlich genau einem Jahr gab es aus der SCHAUBUDE, coronabedingt die Übertragung von „robots“ der Gruppe Manufaktor, einer heftig digitalisierenden Produktion um Digitales, künstliche Intelligenz, sowie Genderei oder Nonbinäres, mit viel Computertechnik, Interviews mit vor allem den technisch Beteiligten, mäßigem Spiel, was alles nicht nur mich ratlos zurückließ.

Nun Premiere nicht m i t , sondern ü b e r s Digitale, im Neuköllner Puppentheatermuseum statt der Schaubude, Zentrales Berliner Puppentheater. In der es Puppentheater schwer hat. (Sicher gehn solche Sätze manchem schon auf die Nerven, aber hier lesen auch Neulinge – und als fast dienstältester Puppenspieler mit „Ausnahme“- und "legendär"-Prädikat sehe ich eine gewisse Verpflichtung, gegen die Gewöhnung an die politikverschuldete Absurdität der Berliner Puppenspiel-Verhältnisse anzuschreiben).

Erster Eindruck: Gediegenes Handpuppenspiel, Balance zwischen altem Haudrauf-Kasper und einer gewissen Subtilität der Handpuppenführung, dem Thema, genauer seiner Durchführung gemäß. Witzige, oft prägnante Texte, einiges richtig doppeldeutig. Hervorragend voneinander abgesetzte Figuren.

Und ein relevantes Thema.

Regie führt Kristiane Balsevicius, prägnante Figur der alten Westberliner Puppenspielszene. In einem längeren Artikel im letzten PMO erläutert sie das Spiel der Hand, die ja das Innenleben - Leben ganz wörtlich - der Handpuppe darstellt. Etwas genauer heißt diese Puppe im Englischen und Französischen ja auch Handschuh-Puppe. Balsevicius trat erfolgreich mit Stücken mit nackten Händen auf, komplettiert mit kleinen Köpfen und unterrichtete das auch. Ähnlich wie ich in Ostberlin und Neubrandenburg, wo aber wohl die Bedingungen günstiger waren, dafür eine Systematik zu entwickeln. Aber eigentlich erst jetzt gab es eine gewisse Berührung beider Ansätze: Puppenspielerin Christiane Klatt ließ sich im Vorfeld der Inszenierung von mir einige Hand-Übungen zeigen, was durchaus Spuren im Stück hinterließ.

Jedenfalls bleibt es also im ganzen Stück angenehmerweise bei den Handpuppen, während sonst der Trend zwar zu möglichster Vielfalt neigt - aber in Wahrheit dann doch immer wieder nur die ewigen Tischpuppen dominieren.

Vor der Premiere schon ausführlich über ein Stück zu berichten, wirkt immer ein wenig wie Werbung - und geht leicht ins Auge, wenn dann die geweckten Erwartungen nicht erfüllt werden. Aber nach dieser Premiere herrschte ehrliche Freude bei den keineswegs nur Szene-Zuschauern, eher fern der üblichen Heuchelei. Der auch von anderen geäußerte Einwand betr. mancher Längen stellte das überhaupt nicht infrage: Die Substanz wurde als stark empfunden.

Vor Jahren war mit „Tanz der Algorithmen“ eine frühe Version des Stücks zu sehen. Es ging auch schon ums Digitale (des Schaubudenchefs Fetisch, er ließ allen Ernstes einmal „Digital ist besser“ plakatieren) in einer einfachen, auch Kindern zugänglichen Handlung, in der berückenderweise keinerlei Digitaltechnik eingesetzt wurde und wo die digitalen Grundelemente, die Zahlen 0 und 1 einfach als Figuren auftraten. Auf die beiden habe ich diesmal gewartet. Jedenfalls war damals wie jetzt Digital das T h e m a und nicht, wie beim Schaubuden-Dauermißverständnis, das Mittel zur Durchführung. Und so wurden nicht etwa Puppen öde durch Elektronik ersetzt.

Aber jetzt am Ende durch mechanische Figuren. Waren das die Vorläufer digitaler Puppen, wie man sie als Spielzeug kennt? Das blieb mir zu offen, wäre aber eine prägnante Auflösung.

Ich denke, auch zu anderen Momenten, so ein Stück verträgt ab und zu deutliche Hinweise, wie was gemeint ist, ohne flach zu werden. Vielleicht fehlt etwas mehr klare Struktur zu den Themen: Rolle des Digitalen als Hilfe für die Menschen, aber auch für ihre Überwachung, andererseits zu Corporate Identity: Werde Teil des Systems oder der Firma. Kurzum fehlte wohl etwas der dramaturgische Blick von außen, wie oft bei solch minimal geförderter freien Produktion, wie sie aber das Zentrale Berliner Puppentheater leisten müßte.

Die auch in dieser neuen, langen Version auftretende Kasperfamilie aus Gretel, Seppel und Oma kommt ja eher aus der Hohnsteiner Kasperei der Zwischenkriegszeit und deren freundlich-kleinbürgerlichen Verhältnissen. So, als würden sie in einer Reformhaus-Siedlung wohnen. Aber bei Klatt sind es eben nur Hohnsteiner-Adaptionen, vom Original soweit entfernt, daß dessen auch problematische Seiten draußen bleiben dürfen, wo aus heiler, „unpolitischer“ Welt ein Arrangement mit der sehr politischen der Nazis erwuchs, heute noch von den Verehrern gern bis radikal verdrängt. Und andererseits wurde ja auch deutlich, daß die Figuren dieser heilen Welt für die Zugriffe der unheilen draußen heute durchaus offen sind.

Wunderbar das eingespielte Akkordeon von Felix Kroll, mittlerweile häufiger Puppenspiel-Musiker, was ihn offensichtlich zu einem Minimalismus befähigt, der ohne Angst, übersehen zu werden, genau auf den Punkt kommt. Er nahm das „Tritratrallala“-Feeling dieses „Reformkaspertheaters“ der 20er Jahre auf, ohne aufzutrumpfen - oder aber nur nachzuspielen.

Aus dem älteren anarchischen Kaspertheater des Jahrmarkts stammen der bei Klatt kräftig mitmischende Teufel, sowie Tod und Krokodil. Diese Mischung geht hier auf. Gretel steigert sich im Online-Handel in Konsum-Ekstase, sucht neue sexuelle Erfahrungen und Oma versteht nicht, warum jetzt alles digital, vor allem deswegen besser sein soll. Sie ist nicht nur die übliche, etwas tuddelige alte Frau von gestern, in ihr scheint etwas zerbrochen. Das hat Relevanz und ist eine sehr berührende Szene, vielleicht grade deshalb, weil Klatt die Omapuppe offen spielt und sie selber als großer Mensch agitiert. Als Vertreter des Digitalzeialters mit seiner Innovations-Hysterie.

Diese Werbe-Agitatorin spielt Klatt allerdings etwas zu oft, einfach als Mensch hinter den Handpuppen, die immer wieder Spar-Versionen u.ä. für Pakete mit Konsumartikeln oder Babys anbietet.

Auch manches andere wird ein bißchen oft wiederholt, auch wenn es in interessante Details aufgeschlüsselt und weiter entwickelt wird. Was aber vielleicht die Kaspertheaterdimensionen sprengt - man hat schon verstanden und ist auf zügige Handlung aus und nicht mehr geduldig. War es dafür die Regie vielleicht manchmal zu sehr? Es ist ja vor allem im „westlichen“ Puppenspiel üblich, daß der Puppenspieler zwar ein eigenes Konzept hat, sich aber einen Regisseur zu dessen Umsetzung und Kontrolle sucht. Das hat vielleicht Grenzen, weil so die Grenzen der jewiligen Aufgabe verschwimmen. Mir scheint die Regie bei Berliner Einzelspielerinnen manchmal zu nachgiebig (der Ensemble-Gedanke ist bedauerlich wenig präsent).

Wenn die Verkleidung der klassischen Handpuppenbühne komplett abgerissen wird - Devise ist jetzt „Transparenz!“ - und ein Aufbau von lauter offenen Vierecken erscheint, in denen überall gespielt werden kann, ist das durchaus etwas überraschend. Aber eben nur etwas, weil zu früh. Und nun, mit dauerhaft offener Spielerin, schaut man zu oft eher auf sie statt auf die Puppe, besonders, wenn diese in der Nähe des Spielergesichtes agiert. Ja, offenes Spiel mit Handpuppen ist schwierig, die Verfremdung, das „Spiel als Spiel Zeigen“ geht bei Neville Tranter wegen der großen Puppen mit den riesigen Klappmäulern. Bei den Handpuppen wird die Doppelung spielender/sprechender Spieler und spielende Puppe Dauerzustand, und Zuständliches funktioniert nicht mehr als Verfremdung.

Humor: Es gibt viele komische Szenen und Texte. Aber so, wie es am Anfang zweifelsohne schnell zu prägnanten Szenen und Figuren kommt, sich aber die Temperatur des Stückes als vor allem lustig erst etwas spät herausstellt - oder war das nur durch die freundlich gemeinte Zurückhaltung der Premierengäste verursacht? - so hat es auch später manchmal der Humor etwas schwer, sich durch Bezugs- und Handlungs-Ebenen hindurch zu behaupten. Werden da die weiteren Vorstellungen etwas bringen? Klatt wirkte allerdings auf mich frisch und locker.

Mir scheint das Stück offenbart seine Außergewöhnlichkeit noch nicht völlig. Nicht, weil etwas fehlt, sondern weil sein wirklich strahlender Kern noch von Wiederholungen überdeckt ist. Hier täte Konzentration, Mut zur Beschneidung not. Das Team signalisiert: Wir sind dran.