Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

Freispiel

9.2.17 Berliner Puppenspielstudenten zeigen eigene Arbeiten

Wildfremde Männer liegen sich weinend in den Armen, wenn sie nicht auf Knien dem Himmel danken, das erlebt haben zu dürfen, Frauen fallen euphorisch in Ohnmacht. Verzückung, Frühgeburten und ein Beifallsgewitter, daß die Mauern bröckeln. So hat man sich die Zuschauerreaktionen vorzustellen, wenn das 4. Studienjahr mal eine durchweg hervorragende Abschlußinszenierung zeigen würde – in Relation zu dem, was dem ersten Beitrag des Abends zuteil wurde.

Ich aber kann die Zuschauer-Begeisterung nur einem kollektiven Anfall von Taub- und Blindheit zuschreiben, ausgelöst durch tiefe Ehrfurcht vor den Begriffen “Hochschule für Schauspielkunst” und “Zeitgenössische Puppenspielkunst” (ich selber studierte seinerzeit ganz schlicht “Puppenspiel” an der “Schauspielschule Berlin”) und konnte in diesem ersten FREISPIEL weder greifbare Idee noch akzeptable Ausführung wahrnehmen. Und werde zum Geschehen ansonsten barmherzig schweigen.

“Vordiplom” ist eine Art Zwischenprüfung zur Studienhalbzeit; in eher kleineren aber geschlossenen Werken führen die Studenten schon mal vor, was sie an Talent, Ideen und Fähigkeiten haben. Oder auch nicht.

“Draußen”

hieß das zweite Stück, erfreulicherweise eine schon ziemlich runde kleine Sache. Drei Freunde auf Bergtour, Beziehungs- und Naturkatastrophen. Natur ist schön, aber der Mensch schleppt nun mal das Gift der Zivilisation mit – in Seele und Psyche.

Maike Drexler und Emilia Giertler lieferten eine schöne Idee, textlich gut umgesetzt, und spielten angemessen und weitgehend vergnüglich mit ihren teils winzigen, teils Klappmaul-Puppen. Die eigentlich nur aus den Köpfen bestanden und sich selbst beleuchteten. Das Licht war überhaupt sehr überlegt und sparsam eingesetzt, mal ist es eine Videoprojektion auf den Horizont und das Zelt, das so zum Berg wird, mal ist es ein hochgestellter roter Scheinwerfer als Lagerfeuer, der die drei Köpfe beleuchtet. Und als einer kotzen muß, erbricht er eine Lichterkette über einen Tannen- der so zum Weihnachtsbaum wird und eine Stimmung suggeriert, die in Wahrheit zwischen den dreien mehr und mehr zerbröselt.

Vor allem beim “symbolischen” Kampf zweier Schneehühner, mit Maske gespielt (und sehr überflüssig in Videoprojektion übersetzt – bitte weglassen!)  machte sich etwas das Fehlen eines korrigierenden Regisseurs oder Dozenten bemerkbar, der z.B. auch mal die jeweils günstigsten Lichtpositionen arrangiert und korrigiert, z.B. am Lagerfeuer  – aber das ist ja noch nachzuholen. Wenn die beiden mit ihrem FREISPIEL sich weiter freispielen.

Morgen und übermorgen gehts weiter


 

2. Tag Freitag 10. Februar 2017

Angesichts des Publikumsandrangs – ohne Anmeldung kam man nur mit Mühe rein – hatte man wieder mal den Eindruck: Das ist das EIGENTLICHE Berliner Puppentheater. Draußen, also im Berliner Normal-Puppenspielbetrieb fallen manchmal Vorstellungen mangels Besuchern aus, auch hervorragende. Sind diese  Zuschauer hier für das im engeren Sinne “professionelle” Puppenspiel nicht zu aktivieren?

Eddie und ich

Ein Reinlichkeits-Paranoiker – Kaspar Weith mit Halbmaske, akzeptabel eigenkörperlich agierend – macht auf skurrile Weise sauber, indem er immer einem unsichtbaren Staubsauger Zeichen gibt, und berichtet dabei von sich. Die Handlung wird immer mal von Blacks unterbrochen, was ich nicht recht einordnen konnte. Eine Kiste wurde ihm geschickt, darin ein Wildschweinschädel, an dem ein Puppenkörper hängt. Luisa Grüning beginnt damit zu spielen und macht das Schweineschädelwesen zum Eindringling… Sie spielt agil, man wird von ihr als sichtbarer Spielerin nicht übermäßig abgelenkt.

Einen Menschendarsteller mit einer Puppe zu kombinieren, fand ich nicht sonderlich einfallsreich, aber machbar.

Vakuum

Nach wenigen Sekunden war klar: Hier war ein starker Ansatz gefunden, aus offensichtlich konkretem Ausgang hatten Clara Fritsche und Konrad Kolodziej eine irrwitzig-antinaturalistische Überhöhung entwickelt, auch im immer wieder überraschenden  Text, die den allmorgendlichen Arbeitsbeginn auch als abendliches Wiedersehen lesbar machte: Sinnentleerte absurde Rituale allenthalben. Im Bewegungs-, Worte-, Masken-  und später auch Puppen-Erfinden höchst phantasievoll, verzieh ich gerne zeitweilige körperliche Unterspanntheit und am Ende einen nicht ganz so starken Schluß.

Manchmal fragt man sich ja: Muß ein guter Spieler IMMER auch auf anderen Gebieten begabt sein? Als Regisseur freut man sich doch auch über solche Puppenspieler, die einfach – aber was heißt einfach? – eine Rolle in einem Stück hervorragend oder zumindest gut spielen können.

Hier war mal die Mehrfach-Kreativiät wegen entsprechender Begabung wirklich angemessen gefordert und eingesetzt. Herausragend.

neunundsechzigneunundneunzig

Ann-Kristin Mayr spielt zunächst als Schatten die Langzeitpatientin in einer Heileinrichtung und ihre insistierende Psychotherapeutin, stimmlich abgesetzt, körperlich nicht. Später hantiert sie als letztere mit Gummihandschuhen auf einem Kunstrasen, auf dem sich Briefe und Gläser befinden, danach wieder als Patientin mit bloßen Händen.

Im Wesentlichen vermittelte sich mir das Geschehen über den Text: Patient als Psychatrieopfer.

3. Tag  11.Febr. 2017

Weniger exquisite Leichen

Gloria Iberl-Thieme erstellte Idee, Text und Bühne, war an der Musik beteiligt und spielte mit, komplettiert nicht durch Kommilitonen, sondern zwei gediegene Schauspieler, Raphael Dwinger und Winfried Goos. Man spielte gewissermaßen “Auch wir können Volksbühne”. Eine Geschichte o.ä. hat in meinem Umfeld niemand bemerkt, schräge Einfälle und Vorgänge fügten sich nicht zu irgendetwas Sinnvollem oder auch amüsant Sinnlosen. Eine trotz Fischkopf im Prinzip konventionelle Großpuppe  wurde auch bewegt, verschwand aber bald wieder. Starker Beifall.

Bert – what else?

Auch Leonie Euler erstellte für ihr Vordiplom die Idee, die (Tier-)Masken und Puppen und entwickelte mit ihrer starken Mitspielerin Nadja Ihjeij das Stück. Und das war alles weitgehend aus einem Guß: Bert, der Substanzlosigkeit bezichtigt, sucht in einem Kartongebirge nach den Persönlichkeiten Verstorbener, um sie sich gegebenenfalls anzueignen. Neben charakterisierenden Requisiten treten die Toten auch auf – als Handpuppen, die somit am 3. Freispiel-Tag endlich auch mal zu sehen waren. Leonie Euler ist Bert als maskierter Mensch, spielte sehr ordentlich und war in Balance mit einem Karton mit Gesicht, ihrem Partner und Antipoden. Obwohl dieses Mondgesicht eigentlich nur den Mund bewegen konnte, war diese quasi Puppe nie schwächer als der Mensch Bert – und zeigte überdeutlich: Die auch bei Studenten häufige Flucht vorm Puppenspiel ins Schauspiel ist unnötig. Dass Bert Mensch war, war andererseits einzusehen, schon um die Mitte der Spielfläche bespielen zu können. Die beiden hatten sich auch die Logistik des Ganzen gut überlegt, was einen reibungslosen Ablauf garantierte. Eine gediegene Arbeit.

Der Kaufmann und der Papagei

Puppenspielstudent Nasir Formuli führte Regie und spielte ein wenig mit, nicht unbedingt wie ein angehender Profi. Den Kaufmann gab sehr präsent Sarah Zastrau – wenn auch ausschließlich schauspielend, alle Hand-und anderen Puppen durchaus prägnant Karoline Hoffmann. Die Regie-Unerfahrenheit äußerte sich am deutlichsten darin, daß Wirkungen weniger in der Geschichte als in deren ständiger Unterbrechung gesucht wurden. Schade, vor allem weil dies das einzige Freispiel für Kinder war, die ja wohl gelegentlich das Publikum von Puppenspielern ausmachen sollen.

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Resumee:

Es gibt starke Talente, die sich auch jetzt schon gültig künstlerisch äußern können.

Nicht alle Puppenspieler können alles – dem Größenwahn mal Raum zu geben, ist sicher richtig, aber auch, um die Erfahrung eigener Grenzen zu machen, woraus man dann Schlüsse ziehen sollte.

Es wird zuviel außerhalb des Genres nach Möglichkeiten gesucht, statt das eigene Genre konsequenter abzuklopfen.

Die verwendeten Puppentechniken sind immer die wenigen gleichen. Puppenspiel als etwas Artifizielles im handwerklich höheren Sinn war bestenfalls in wenigen Ansätzen zu sehen.

Es wird zuviel und oft unüberlegt offen gespielt.

Dieses Publikum in seiner fast unterschiedslosen Euphorie bügelt die Maßstäbe platt und suggeriert etwas, was es in der Theaterpraxis kaum gibt.